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Markus Sprehe

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Hardcover, Anthologie

16,50 €

Spätes Zeugnis einer Freundschaft


Die Erinnerung eines Mannes im Herbst seines Lebens an einen sehr spät entdeckten Freund: Einen Türken. Was mag er heute tun, dieser Freund, der inzwischen auch in die Jahre gekommen ist.


Eine Kurzgeschichte, die zeigt, dass Freundschaft keine Grenzen kennt.


Veröffentlicht im

Wort und Mensch Verlag, Köln

in der Anthologie "Schön bist Du, Fremde(r)"

Erscheinungsjahr: 2002

ISBN: 3-9806002-4-6


http://www.wortundmensch.de


 

Leseprobe

 

Der rostig-rote Opel Kadett rauschte an meinem Fenster vorbei. „Na, endlich", dachte ich bei mir. Kurz darauf schepperte die schwere Eisentür ins Schloss. Sie führte vom Hinterhof in meine Firma.


Muzaffer Coban musste noch eine kleine Halle durchqueren, bevor er in mein Büro hastete, wo er zwei Schritt vor meinem Schreibtisch abrupt stehen blieb. Trotz aller Hast, trotz allen schlechten Gewissens: Er griente mir ins Gesicht, zog flüchtig die linke buschige Augenbraue ein wenig hoch und deutete ein Nicken an, wie er es jeden Tag zur Begrüßung hielt.


„Guten Morgen, Chef", wisperte er mit seiner sanften, freundlichen Stimme. Seine Haltung verriet mir Stolz, und gleichzeitig Unterwürfigkeit; er fühlte sich nicht schuldig, und dennoch war er sich seines Fehlverhaltens bewusst. Ich sah keine Veranlassung für eine wohlwollende Erwiderung seines Grußes, dementsprechend fiel sie mürrisch aus. Ich bemerkte sarkastisch: „Der Wagen ist nicht angesprungen, hab’ ich recht?"


„Chef, meine kleine Emine hat eine Krankheit. Wie sagt man das...? Wenn oben und unten alles rausläuft?"


„Brechdurchfall", gab ich kurz angebunden zurück. „Ist denn ihre Frau nicht für die Kinder da? Sie haben hier einen Job. Da haben Sie pünktlich zu erscheinen, wie oft muss ich Sie noch ermahnen?"


Ich starrte in seine tiefbraunen, funkelnden Augen, die ...

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Roman, Paperback, 128 Seiten

6,99 €

E-Book: 3,99 €



Leseprobe


"Sagen Sie mal, K.", schallte es durch das Wageninnere, "wollen wir noch weiter Geschäfte machen, oder nicht?"


"Wieso, Herr Greiner, was ist geschehen?"


"Was geschehen ist? Das will ich Ihnen sagen: Ich habe Ihrer Dame im Innendienst, ich weiß nicht mehr, wie die heißt... Na, ja, auf jeden Fall habe ich gesagt, dass das Banner nicht so wichtig sei, aber die Papierrollen bräuchte ich unbedingt heute. Auch Ihnen habe ich das doch gestern am Telefon gesagt, stimmt's?"


"Ja", bestätigte Herr K.


"Ja sagt er. Nun K., dann sagen Sie mir mal, wo ist denn nun meine Ware?"


"Ich verstehe das nicht, Herr Greiner, die Sachen sind gestern raus gegangen. Das hat mir Frau Kolbe bestätigt. Rausgeschickt mit unserer Hausspedition."


Herr K. spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Das Maisfeld verschwamm für Sekunden vor seinen Augen.


Herr Greiner wirkte trotz seiner Wut verzweifelt, und K.'s Hilflosigkeit war ihm zuwider.


"Was ist mit Ihnen, K., ich höre nichts mehr", fauchte Greiner spöttisch, "ich brauche die Rollen für den Auftrag eines Großkunden. Wissen Sie, was das bedeutet, K.?", fragte er.


"Ja", glaubte Herr K. zu wissen.


"Ach was, nichts wissen Sie", belehrte ihn Greiner, "aber lassen wir das. Sie sind der Ältere von uns Beiden, sonst hätte ich Sie jetzt durchs Telefon gezogen", sagte Greiner nun etwas gelassener. "Sehen Sie zu, dass ich noch heute meine Ware bekomme, dann können wir Freunde sein."


Und da machte Herr K. etwas, was ihn anwiderte: Er gab Zusagen, von denen er nicht wusste, ob er sie würde einhalten können. Welche Möglichkeiten hatte er schon - hier unterwegs. Er grübelte, bedauerte sich, beneidete andere, selbst den Bauern auf dem Traktor, und er legte so gar nicht Wert darauf, Greiners Freund zu werden.


***


Herr K. wählte die Nummer vom Innendienst. Ein Tornado-Tiefflieger schoss derweil über das Maisfeld hinweg und übertönte das Tuten in der Freisprecheinrichtung. Eine Gruppe krächzender Stare stob verschreckt auseinander. Der Anschluss war besetzt. Jürgen K. trank einen Schluck Kaffee. Dann stieg er aus dem Wagen und zündete sich eine Zigarette an. Hastig sog er mit zusammengekniffenen Augen den Rauch ein. Er ging auf und ab, warf die Kippe weg und trat an das Maisfeld heran. Zielstrebig brach er sich einen reifen Kolben ab, schälte ihn und biss hinein.


Aus dem Wageninneren hörte er das Klingeln seines Mobiltelefons, kümmerte sich aber nicht darum. Er nagte seinen Maiskolben kahl und urinierte anschließend an eine knorrige Eiche, die am Straßenrand emporragte. Die Schritte zum Wagen fielen ihm schwer. Die Gegend war menschenleer. Er war völlig allein, und so fühlte er sich auch. Allein gelassen mit seinen Herzstichen, die ihn seit Monaten quälten, verlassen von Gott; aber war das so? Hätte er nur an ihn gedacht, wie er es sonst tat.


***


"Nun zu Ihnen, Herr K. Kurzes Resümee von meiner Seite: Katastrophengebiet!"


Einige Kollegen wagten zu lachen. Herr Rehburg konnte sich ein kopf schüttelndes Grienen nicht verkneifen. Herr Thrum hohnlächelte Herrn K. an, dessen Ohren nun purpurrot anliefen. Kastanidis lehnte am Türrahmen und registrierte den Schweiß, der an Herrn K.'s Schläfen abwärts lief. Plötzlich war es mucksmäuschenstill.


"Na ja, Sie lachen, meine Herren", sagte Herr Thrum, "K. ist das Lachen vergangen." Er ging zurück, um sich am Laptop zu betätigen. Auf der Leinwand erschien ein Zahlenraster, das Herr Thrum eine Weile betrachtete. Federnden Schritts ging er auf die Leinwand zu und blinzelte Herrn Rehburg zu, als wollte er ihm signalisieren, dass nun der beste Teil seiner Vorstellung folgen würde. Ernste Falten kräuselten Herrn Rehburgs Stirn, da er ahnte, dass der Ärger über den schlechten Umsatz in diesem Augenblick zweitrangig war. Er wollte sich weiden am seelischen Leid des Herrn K., der so offensichtlich fragil war, dass Herr Thrum seiner Neigung nach gar nicht anders konnte, als ihn durch den Wolf zu drehen.


***


Kastanidis stand dort, unbeweglich mit offenem Mund. Er sah Herrn K. verdutzt an, als wollte er fragen: Wie bitte? Aber irgendetwas an K.'s Äußerem musste ihm signalisiert haben, dass Innehalten hier ratsam sei. Herr K. nahm sich sogar die Zeit, an seinem Kaffee zu nippen und dehnte die Spanne der Lautlosigkeit aus, weil er sie genoss, da er selbst sie herbeigeführt hatte und darin einen Triumph sah.


Alle glotzten ihn an, und weil K. nun keine Bedrohung mehr empfand, hätte er gern darüber gelacht: Wie lächerlich einfach das ist, dachte er.


Aber Herr K. besann sich. Hier ging es um seine Verteidigung. Er wollte sich reinwaschen. Die vergangenen zehn Monate hatten gereicht, aus ihm einen kranken Menschen zu machen, und es war keine Krankheit, wie etwa ein grippaler Infekt oder Durchfall. Diese Krankheit war schleichend gekommen, und ihr Erreger war nicht auszurotten ohne dabei selbst mit draufzugehen. Es war der Mensch und alles, was er sich künstlich geschaffen hatte; auch maßgeschneiderte Anzüge, wie sie Kastanidis trug, oder Thrum, oder Rehburg, kaschierten des Menschen Natur, soviel stand fest. Bei allem Fortschritt, der so willkommen war und das schwere Leben der Urmenschen so vereinfacht hatte, war leider einiges auf der Strecke geblieben. Die Menschen, so empfand es Herr K., hatten verlernt, zusammenzurücken, wenn Sturm über das Land zog. Stattdessen verkamen sie mehr und mehr zu Einzelgängern, auf ihren eigenen Erfolg bedacht, und dabei vergaßen sie die Menschlichkeit. Ja, die Seuche verbreitete sich, der Mensch mutierte zum Kaltblüter.


"Bitte entschuldigen Sie, Herr Kastanidis, ich habe Sie unterbrochen", begann Herr K., nachdem er seine Kaffeetasse abgestellt hatte. Er legte noch eine kleine Pause ein, um Herrn Kastanidis Reaktion abzuwarten. Der aber musterte Herrn K. nur erwartungsvoll.


"Sie haben Ihre Enttäuschung zum Ausdruck gebracht, von mangelnder Motivation gesprochen, und sogar von spärlichem Engagement. Da geht mir aber der Hut hoch, Herr Kastanidis. Das lasse ich nicht auf mir sitzen. Beileibe nicht.


***


Ihm ging durch den Kopf, dass Gefräßigkeit jedem Herrscher eigen ist: Die Gefräßigkeit nach Bestätigung. Wie ein Bankier in jedem verdienten Geldstück Bestätigung findet, so verhält es sich bei einem Ideologen mit seinen Getreuen.


Ich bin nun mal kein gefräßiges Tier, überlegte K. und dann fiel ihm ein, dass er lange nichts mehr gegessen hatte.


Aus dem Seitenfenster beobachtete er einen weit zurückliegenden Bergrücken, an den sich ein kleines Städtchen, wie ein Baby an seine Mutter, schmiegte. Er trug eine Corona von der dahinter untergehenden Sonne, und Herr K. fuhr einen Rasthof an, weil er wusste, dass ein Steak ihm zuhörte. Immer zuhörte, und es verstand, seinen Magen und sein Herz zu besänftigen.

Laubfärbung            


Der Herbst, der überfallartig kommt. Eine Laune der Natur, der sich auch der Mensch fügen muss. Hiervon handelt dieses Buch.


„Kein Mitleid", tobte Herr K. innerlich. „Mitleid ist verletzend."


Diesen Kurzroman habe ich im Oktober 2005 beendet. Er ist veröffentlicht und erhältlich über den Buchhandel, Libri, Amazon oder im Buchshop von BoD.   


Veröffentlicht bei

BoD Books on Demand, Norderstedt

Erscheinungsjahr: Erstauflage 2005 / Neuauflage 2015

ISBN-13: 978-3-734-77580-2

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Roman, Paperback, 388 Seiten

12,99 €

E-Book: 6,99 €

Ruf der Trompeten          


Nur wenige Juden sind noch in der Stadt. Unbekannte haben auf die Hauswand eine feindliche Parole geschmiert, die das Judenmädchen Miriam beseitigen soll. So verlangt es ihr Vermieter. Da beobachtet sie aus dem Fenster den Abtransport weiterer Juden, und erkennt, dass nur die Flucht sie retten kann. Sie schleppt sich zu einem Bauernhof in der Nähe, hält sich hinter mächtigen Eichenstämmen verborgen, bis Theo über den Hof in Richtung der Tierställe wankt. Theo, das ist der Bauer, der Miriam Eier und Speck zugesteckt hat, wenn sie an den Wochenenden vom Friedhof, auf dem ihre Eltern und der Bruder begraben sind, in die Stadt zurückgehen wollte. Noch ahnt sie nicht, dass Jahre vergehen werden, bis ihr Martyrium ein Ende nehmen soll...


Veröffentlicht bei

BoD Books on Demand, Norderstedt

Erscheinungsjahr: 2009 / Neuauflage 2015

ISBN-13: 9783739216676

   

Leseprobe


Mein Vermieter hatte einen Eimer Wandfarbe und einen Quast bei sich, als er an meine Tür geklopft hatte, Freitagabends gegen sieben. Ich war noch nicht lang zurück von meiner Arbeit in der Blaudruckerei. Der Tee war aufgebrüht und eine warm gemachte Graupensuppe stand bereit, als er mit einer Schirmmütze auf dem Kopf vor mir im Türrahmen erschien. Er musterte mich aus zusammen gekniffenen Augen, damit ihm der Qualm seines stinkenden Stumpens im Mundwinkel nicht in die Augen drang. Den Quast in der einen, den Eimer in der anderen, hatte er keine Hand frei.


Sein Blick war nicht unfreundlich, eher interessiert und neugierig, und wer weiß, vielleicht war es auch Sorge um mich, die ihn zu mir getrieben hatte, jedenfalls sah er seltsam bekümmert zu mir auf, was er musste: Auf sehen, weil er kleiner war als ich.


Ich war unvorbereitet und schwieg, weil mir die Worte fehlten, hatte eine Hand am Türblatt, ängstlich abwartend, was geschehen würde.


„Guten Tag, Miriam“, brach er endlich das quälende Schweigen, „willst du mich nicht herein lassen?“ Dabei sah er sich geheimnistuerisch nach links und rechts auf dem Flur um und drängte mich behutsam in die Wohnung zurück, indem er einfach auf mich zuschritt, sodass mir nichts anderes übrig blieb, als zurück zu treten.


Nachdem er sich wie ein Kiebitz im Raum umgesehen hatte, sagte er, dass ich die Schmiererei beseitigen müsse und dass ich keine Wahl hätte, weil ich mir sonst einen anderen Platz zum schlafen suchen müsste; das hätte seine Frau gesagt, er würde aber genauso darüber denken und dass es eine schlimme Zeit sei, hat er gesagt, und als ich ihn nur traurig anstarrte, konnte ich nicht weinen, weil mir die Kehle zugeschnürt und auch das Sprechen nicht möglich war. Obwohl ich gern geweint hätte.


Er stand vor mir, wie ein Chamäleon, völlig reglos, die Augen, das einzig Wachsame, auf mich gerichtet: Nur, dass ein Chamäleon keine Stumpen zwischen den Lippen hat. Nach einer Weile des Schweigens bückte er sich, um den Farbeimer vor mir abzustellen. Den Quast legte er darauf. Ohne noch einmal auf zu sehen, wandte er sich in Richtung Tür. Die Klinke hielt er bereits in der Hand, der Kopf war gesenkt, als er nuschelte: „Mach mal, wie ich gesagt habe, Mädchen. Wird schon wieder gut.“ Er schüttelte den Kopf und ich fragte mich, was das zu bedeuten hatte. Glaubte er seinen Worten nicht? Würde doch nicht alles gut? Mit geschlossenen Augen wartete ich ab. Als ich sie öffnete, war mein Vermieter grußlos verschwunden.


***


Die weißen Wände meines Zimmers färbten sich im langsam verschwindenden Licht des Tages bereits grau, als meine vertränten Wangen getrocknet waren. Viele Stunden hatte ich starr an der Wand verharrt. Die natürliche Reaktion meines Körpers auf den Schock war eine völlige Leere meines Hirns gewesen. In diesem Vakuum war ich gefangen, aber es war mehr eine Schutzhaft, in der ich mich befunden hatte, die mich vor der Panik schützte, die mich heimsuchen wollte. Tränen waren mir unentwegt über das Gesicht gelaufen. Ich hatte sie nicht wahrgenommen, und als sie versiegten, muss das der Grund für mein Erwachen aus der Selbstvergessenheit gewesen sein.


Nun wischte ich mir über die Augen und sah mich um. Alles stand unberührt, wie am Vormittag. Plötzlich verspürte ich einen quälenden Durst. Ich erhob mich angestrengt, geriet dann ins Straucheln, weil meine Füße eingeschlafen waren. In trauriger Verwirrung massierte ich sie, bis das Blut in seinen Venen wieder in Fluss kam. Dann hastete ich in die Küche und trank gierig aus dem Wasserhahn. Das Seltsame war - dieser Gedanke kommt mir erst jetzt, wo ich daran zurück denke - dass ich kein Glas beschmutzen wollte, weil ich soeben entschieden hatte, zu gehen. Ha …, als wenn es auf dieses eine Glas angekommen wäre.


Ja, es war gewiss. Ich müsste meine Wohnung aufgeben - oder mein Leben - sie würden mich holen, bald schon, wie all die Anderen. Wo mochten sie sein, die Gloses, die Lehmanns, die Cohns, Rosenstamms, Josephs, die Levys und alle, die nicht geflüchtet waren, als es noch ging? Vielleicht ging es ihnen gut in den Arbeitslagern. Sicher ging es ihnen gut, so schlimm konnte es nicht sein. Das dachte ich mir. Sie hatten zu essen. Sie hatten vielleicht ungewohnte Arbeiten zu verrichten, aber sie hatten zu essen. Warum sträubte ich mich, wieder mit meiner Gemeinde vereint zu sein? Hier, in dieser Stadt, war ich nun bald allein. Es war die Furcht vor dem Unbekannten, die Ungewissheit, wohin sie mich bringen würden, was mich entsetzte. Alles würden sie mir nehmen. All meine Habe, meine Heimat, meine Freiheit.


***


Nachdem ich eine Weile gelauert hatte, waren mir die Augen schwer geworden. Plötzlich war ich hellwach, als ich eine Tür ins Schloss fallen hörte. Niemand war zu erblicken. Durch den Hauseingang war kein Mensch heraus getreten. Gerade wollte ich flüchten, da kam der Bauer, leise vor sich hin summend, hinter der zurückliegenden Hausecke hervor und blieb abrupt stehen. Theo Repp riss seinen Kopf in Richtung Straße herum, und ich meinen hinter den Baumstamm zurück. Als ich vorsichtig wieder zu ihm rüber lugte, stand er breitbeinig, mit angewinkelten Armen nach oben gestreckt dort und reckte sich ausgiebig. Erleichtert strebte er dem Kuhstall entgegen. Dabei rotzte er einmal kräftig zur Seite.


Jetzt, Miriam, sagte ich mir und verließ mein Versteck, um dem Bauern hinterher zu rennen. Er spürte meine Nähe, als er soeben im Stall verschwinden wollte, drehte sich erschrocken um und blickte in mein erhitztes Gesicht. Mein Anblick muss jämmerlich gewesen sein und Panik wohl die Botschaft, die meine Augen verkündeten. Theo Repp presste die Lippen aufeinander, packte mich an den Schultern und zog mich mit sich in den Stall. Gerade wollte er zum Sprechen ansetzen, da fiel erneut die Tür zu, die ich schon einmal gehört hatte, offenbar die Hintertür zum Wohnhaus, die mir bislang unbekannt gewesen war.


„Das ist Heiner“, flüsterte der Bauer. Er hatte schnell begriffen, dass mein frühes Erscheinen, der Rucksack und die überfallartige Weise meines Auftauchens Grund genug waren, meine Gegenwart vorerst geheim zu halten. Also zog er mich hastig durch den Gang, der zwischen den Kuhboxen verlief. Das Vieh brummte unbekümmert in der instinktiven Kenntnis, dass es nun gemolken würde.


Am anderen Ende des Stalls befand sich eine roh aus Bohlen gezimmerte Tür, die der Bauer aufriss. Er stieß mich nach draußen, nicht grob, aber unmissverständlich war der Druck in meinem Rücken. Ich glaube, der Bauer hatte die Situation gleich richtig erfasst, vielleicht diesen Tag längst erwartet, und ein Wink war in dieser breiten Hand, den ich gleich begriff: Das er niemandem so recht traute, jedenfalls nicht seinem Knecht.


Da stand ich nun, auf einer Koppel im staubigen Sand, mit dem Rücken neben der Tür an die Wand gepresst. Der Bauer hielt die Klinke in der Hand und stierte mich mit gehetztem Blick aus der halboffenen Tür an. Dann hörte ich Heiner Bartke. Er schien gut gelaunt, begrüßte den Bauern mit einem lebhaften „Moin“ und redete danach irgendetwas von gutem Wetter. Ich hörte, dass der Knecht ahnungslos näher kam. Flink drehte sich der Bauer zum Stall und rief: „Moin, Heiner. Ob der Tag schön wird, hängt nicht nur vom Wetter ab.“


***


Als ich um die hintere Ecke des Hauses spähte, sah ich den Hof in Dunkelheit getaucht. Das Licht des goldenen, ovalen Mondes machte am Giebel Halt, vor dem ich stand. Vor der Haustür aber leuchtete die Lampe von Drinnen ins Freie. Auf dem Podest erkannte ich den Polizisten in seiner Uniform. Neben ihm stand Heiner, der Knecht, beide Hände in den Taschen vergraben und schaute verlegen auf seine Schuhe. Der Bauer musste im Türrahmen stehen. Auf den Stufen erstreckte sich sein langer Schatten.


„Natürlich kenne ich die Miriam“, hörte ich ihn mit fester Stimme sagen, „was ist mit ihr?“


„Mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie das Judenmädchen durchgefüttert haben“, sagte der Polizist, wobei er sich mit dem Zeigefinger unter der Nase rieb.


„Ja, und ...? Wer Hunger hat, dem muss geholfen werden, oder, Heiner? Wie siehst Du das?“ Den Knecht durchfuhr ein heftiges Zucken. Dann nuschelte er: „Ja ..., schon ..., denke ich.“


„Na, das will ich meinen“, hörte ich Theos Stimme, und wohl wieder zum Polizisten gewandt, „dagegen spricht doch nichts, Friedrich, nicht wahr? Aber ich verstehe Deine Frage nicht, was willst Du? Was ist mit dem Mädchen?“


„Was mit der ist? Herr Repp, die Jüdin ist verschwunden, und ...“


„Was? Verschwunden? Habt ihr nun auch sie weggeschafft?“ Der Bauer trat auf das Podest heraus und sah den Polizisten aus kurzer Distanz scharf an: „Was willst Du dann von mir, willst mir doch nicht melden, dass ich sie nicht weiter versorgen muss?“


„Ich gehe jeder Spur nach, die zu ihrer Ergreifung beitragen könnte. Sie ist geflohen.“


„Moment mal“, rief Theo, „was hat sie denn verbrochen?“


„Sie ist eine Jüdin. Sie ...“


„Sie ist ein Mensch, Friedrich, aus Fleisch und Blut, wie Du und ich, hast Du das vergessen? Was ist denn in Euch alle gefahren“, sprach der Bauer nun verschwörerisch, „dass Ihr Euch manipulieren lasst und aufhetzen?“


„Vorsicht, Herr Repp“, keifte Friedrich Wankel, und der Knecht sah betroffen zum Zwinger hinüber, aus dem Harro wachsam das merkwürdige Ereignis beobachtete, „seien Sie mit der Wahl Ihrer Worte vorsichtig, noch meine ich es gut mit Ihnen.“


„Ach“, polterte nun der Bauer, „Du meinst es gut mit mir! Aha! Sag mal, Wankel, willst Du mir drohen? Hast wohl alles vergessen, stimmt’s? Deine Eltern haben in der schlechten Zeit Kartoffeln von hier, und Äpfel. Damit haben sie Dich übrigens durchgefüttert. Ich will keinen Dank dafür, aber ein Mensch, der bleib ich, und für Menschlichkeit stehe ich ein. So, und nun sag mir endlich, was Du willst, ich will ins Bett.“


„Hör’n Sie mir zu, Herr Repp. Ich habe arisches Blut. Mit einer Jüdin lasse ich mich nicht in einen Topf werfen.“


„Du, arisch bin ich auch, oder willst Du das anzweifeln?“


„Nein, das nicht.“


„So, was noch?“ Theo zeigte fordernd mit dem Zeigefinger auf den Polizisten. Der Knecht trat vom einen auf das andere Bein.


„Herr Repp, ich tu hier meine Pflicht. Beantworten Sie mir folgende Frage: Wann haben Sie die Jüdin Miriam Birnbaum zum letzten Mal gesehen?“


„Tja, das ist schon ’ne gute Woche her. Eigentlich kommt sie immer nur samstags. Sie geht immer zum Friedhof, ... ist ja gleich hier“, erklärte Theo und zeigte in die Richtung, „wenn sie von der Arbeit kommt. Letztes Wochenende habe ich sie nicht gesehen. Stimmt schon, jetzt finde ich das auch merkwürdig, ich meine, dass sie nicht hier war. Zu essen konnte sie immer gebrauchen.“


„Sie haben nichts von ihr gesehen. Seit wann?“


„Na, letzten Samstag vor einer Woche.“ Theo drehte sich zu Heiner: „Sag mal Heiner, hast Du sie nicht auch noch gesehen, oder warst Du schon zu deiner Großmutter?“


„Ja, Fitten“, wandte sich der Knecht an den Polizisten, „das stimmt. An dem Samstag war sie auf dem Hof. Ich war schon ein Stück in Richtung Bahnhof gegangen. Dann musste ich pinkeln. Als ich am Wegrand stand und noch mal zurück schaute, sah ich sie vom Friedhof kommen. Sie ist auf den Hof eingebogen.“


„So, Friedrich, war’s das?“


„Noch nicht ganz“, antwortete der Polizist. In dem Moment hörte ich Karsten von drinnen rufen:


***


Kurz vor Weihnachten habe ich Karsten noch einmal zu Gesicht bekommen. Nun Soldat, war ihm die Möglichkeit gegeben worden, noch drei Tage zuhause zu verbringen, ehe er an die Front sollte. Als er mich in seiner sauberen Uniform überraschte - der Tag war noch jung, und ich hatte meine streng eingehaltene täglich im Morgengrauen vorgenommene Körperpflege kaum hinter mir - wirkte er auf mich verwandelt. Das lag nicht so sehr an seinem förmlichen, mir zugleich Respekt als auch Furcht einflößenden äußeren Erscheinungsbild, jedoch war seine Aura eine Neue und Fremde, wie mir schien. Zunächst stellte ich fest, dass sein dunkelblondes glattes Haar nun fein gescheitelt, zurückgekämmt am Schädel klebte. Auch trat er frisch rasiert vor mich hin, obwohl er vormals selbst zu später Tageszeit eher zerzaust auftrat; soll sagen, offenbar wenig Wert auf Toilette gelegt hatte. Seine faltenfreie Stirn erschien mir größer, seine graublauen Augen glänzten wie geputztes Glas in der Sonne. Seine schmalen Lippen umspielte ein verirrtes Lächeln, als er sagte: „Ich geh’ nun an die Front, Miriam“, und das klang nicht aufgewühlt oder verzweifelt, eher naiv siegessicher, als wollte er sich auf den Weg zu einem Spaziergang machen. Er bemerkte meine Besorgnis und fasste mich bei den Schultern.


„Kann nicht mehr lange dauern, der Krieg“,  vermutete er, „sollst sehen, Miriam, dann kannst Du hier raus, hörst Du? Mehr Soldaten, schnellerer Sieg. Deshalb will ich mutig gehen, damit es schnell vorbei ist. Das tue ich auch für Dich. Ich weiß doch, wie gern Mama und Papa Dich haben. Ich auch.“


„Ich habe Angst“, stieß ich hervor.


„Um mich etwa? Ach was“, lachte Karsten mich aus.


„Es ist gefährlich an der Front.“


„Nicht gefährlicher, als hier.“


„Wer hat Dir das erzählt“, wollte ich wissen.


„Ich habe mit Leuten gesprochen, die es wissen müssen.“


„Wer soll das sein?“


„Ach, Miriam, glaub mir, alles wird gut.“


Ich sah zu Boden, plötzlich erschöpft, weil meine Gedanken so schwer waren.


„Haben Dir das Menschen erzählt, die meinesgleichen in die Lager verbannen? Waren es die? Was sagt denn Dein Vater dazu?“ Ich warf meinen Kopf hoch und funkelte den Jungbauern an. Offenbar hatte ich ihn kalt erwischt, denn seine Antwort kam hitzig: „Ach, Papa. Der versteht das nicht. Redet immer auf mich ein, ich sollte nicht übermütig werden, mich nicht anstecken lassen, sagt er. Tu ich auch nicht … Was der denkt … Ich wollte doch nicht den Krieg. Ich will, dass er endlich zu Ende geht. Nur über den Endsieg kann das erreicht werden. Soll ich denn jetzt den Schwanz einkneifen? Ich muss an die Front. Bin nicht gefragt worden. Wenn schon, denn schon.“


„Nein!“


„Was?“


„Stürz Dich nicht ins offene Messer, Karsten.“


„Ach, was weißt Du denn von der Front. Tust ja bald so, als wärst Du da gewesen.“


Ich schüttelte benommen den Kopf. Karsten stand unschlüssig vor mir. Irgendwann begann er nervös vom einen auf den anderen Fuß zu treten. Schließlich ging er zur Leiter. Von unten rief er mit gedämpfter Stimme nach mir, worauf ich an den Rand des Speichers trat.


„Ich werde schreiben. Natürlich an die Eltern“, sagte er, „sie werden Dir berichten. Mach’s gut.“ Dann ging er zur Seitentür.


„Sei vorsichtig“, rief ich, die Hände vor mein Gesicht haltend. Dennoch sah ich, wie er sich noch einmal umdrehte, grinsend, erschreckend überheblich, wie ein Junge, der in den Wald gehen will, um mit einem Gewehr Jagd auf Indianer mit Pfeil und Bogen zu machen. Durch die offene Tür kam kalter Wind herein, der an den Säumen von Karstens Uniform zerrte, seine Frisur dagegen hielt dem Gebläse stand.


***


Später, um halb Zehn hörten die Kriegsgefangenen den blubbernden Motor des Traktors näher kommen. Auf dem Sozius neben Theo saß nun Frederike, einen abgedeckten Weidenkorb auf ihrem Schoß. Zwei große, gut verschlossene Kannen mit Milch waren am Gestänge fest verzurrt. Bevor der Bauer auf den holprigen Weg einbog, der den Kartoffelacker begrenzte, hielt er an und ließ seine Frau mit den Kannen absteigen. Frederike stellte sie an den Wegrand und saß wieder auf. Die Gefangenen setzten ihre Arbeit fort, nachdem Vaclav ihnen etwas zugerufen hatte. Dieser Vaclav aber sah mit seinen tiefbraunen Augen den Repps entgegen und winkte zum Gruß. Er war der kleinste der Tschechen, ein drahtiger Kerl mit einem Vollbart, der eine Narbe auf der rechten Wange fast vollständig bedeckte.


Als der Traktor heran gekommen war, sprang Theo hinab und ging gleich auf den Hänger zu, dessen Boden inzwischen gut bedeckt war. Vaclav versicherte, dass seine Leute fleißig gesucht hätten, was der Bauer mit einem zustimmenden Nicken quittierte, den Kopf in Richtung der Pappelreihe gedreht, die unweit sein Land begrenzte. Einige Elstern schrieen schrill und stoben auf. Irgendetwas musste sie gestört haben. In der Luft lag Schwüle und etwas nicht definierbar Unangenehmes. Das empfand Theo, als er sich den Hut vom Kopf zog und den Schweiß von der Stirn wischte. Was es auch sein mochte, nun sollten die Arbeiter essen. Sie hatten gut malocht. Theo drehte sich dem kleinen Tschechen zu, der ihn erwartungsvoll musterte.


Vaclav, das ist meine Frau, die Bäuerin, sagte Theo und schwenkte den Arm mit offener Hand in Frederikes Richtung. Vaclav betrachtete sie und deutete eine leichte Verbeugung an, was Frederike ein Lächeln entlockte. Ihre immerwährend rosigen Wangen verrieten nicht die Verlegenheit. Vielleicht ein wenig ihre Ohren, durch deren feine Adern mehr Blut floss, als gewöhnlich. Sie konnte sich nicht erinnern, wann zuletzt ein Mann sich vor ihr verbeugt hatte.


Sag mal den Männern Bescheid. Sie sollen Pause machen, wir haben Stullen mitgebracht, forderte Theo den Tschechen auf, und dann lauf mal zur Straße.


Theo wies auf die Kannen, deren hellblaue Emaille sich vom Grün des Grases abhob.


Hol mal die Kannen, siehst Du die dort stehen? Da is’ Milch drin. Aber verschütte nichts, hörst Du?


Vaclavs Augen begannen zu leuchten. Das ließ er sich nicht zweimal sagen. In seiner Landessprache rief er seinen Genossen etwas zu, die ungläubig herüber schielten und sich schließlich schüchtern näherten. Vaclav unterdessen war zur Straße gespurtet, um die Milch herbei zu schaffen. Der Bauer hätte ihn nicht zur Vorsicht anhalten müssen. Kein Tropfen ging verloren. Zu kostbar und zu selten war Kuhmilch in diesen Zeiten für Kriegsgefangene. Verpflegung wurde von den Behörden für die Gefangenen gestellt, als Frederike aber den Korb enthüllte, sahen die Tschechen, dass die Bäuerin für den Belag an die Bestände ihrer Vorratskammer gegangen sein musste. Dankbar griffen sie zu, schmatzten genüsslich und wagten sogar, der Bäuerin auf die Schulter zu fassen, um ihr verständlich zu machen, wie hoch sie ihr diese Gabe anrechneten.


Frederike indes verhielt sich schweigsam, griente nur freundlich und genoss beim Anblick der fremdländischen Arbeiter deren gesunden Hunger, sinnierend, dass einer dieser jungen Kerle ihr Sohn hätte sein können.

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Kinderfabel,

8 Seiten mit Bildern

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Blubbs (Eine Kinderfabel)


Als meine Tochter 2 Jahre alt war, beaufsichtigte ich sie beim Baden. Wir pflegten dann mit Enten, Booten und anderen Dingen zu plantschen. Dabei ahmte ich manchmal die dabei entstehenden Geräusche nach. Das hörte sich dann so an, wie BLUBBS.

Später fragte mich meine Tochter auf ihre kindliche Art: "Papa, warum machst Du immer Blubbs? Was ist das?" Aus dieser Frage, auf die ich in Wahrheit nicht so spontan eine Antwort wusste, entstand die Idee zu diesem kleinen Kinderbuch.


Nachdem der Text stand, begann ich zu zeichnen und fertigte danach Aquarelle an.


Hier veröffentliche ich nun erstmals meine Arbeit.

Entstehungsjahr: 1999

Komplettfassung




 


 


 


 


 


 


 


"Papa,warum machst du eigentlich immer Blubbs? Was ist Blubbs?"

"Was Blubbs ist, fragst Du? Haha, frag mal lieber wer Blubbs ist. Nun ja, Blubbs ist ein kleiner grüner Frosch.


 


 


 


 


 


 


 


 


 


 


Er lebt an einem kleinen Teich, der mitten in einer Wiese liegt. Auf dem Wasser spiegelt sich die Sonne. Blubbs sitzt am Rande des Teichs im saftigen Frühlingsgras.


Seine besten Freunde sind die Blumen, die neben ihm stehen, und gegenüber auf der anderen Seite des Teichs und links und rechts und rund herum.


Blubbs hat viel Zeit, weißt Du? Er sitzt nur da und genießt mit den Blumen die Wärme der Sonne. Manchmal kann er eine vorbeisummende Mücke erhaschen. Mücken sind nämlich sein Leibgericht.


Doch dann sitzt er wieder still. Ab und zu lässt er ein zaghaftes 'Quaak-ak' ertönen. Seine Stimme ist noch nicht kräftig. Wie gesagt, Blubbs ist noch ein kleiner Frosch.


Blubbs muss nicht in die Schule gehen, wie die Menschenkinder. Er lernt alles, was er wissen muss, aus der Natur. Er sieht, wie seine Freunde, die Blumen, ihre Blütenkelche öffnen, sobald die Sonne am Himmel steht, und er sieht, wie die Blumen sie wieder schließen, sobald die Sonne weiter zieht, um auch den Blumen in anderen Ländern Licht zu bringen.


Blubbs sieht auch, wie die Bienen die Blumen besuchen, um den Blütenpollen ein zu sammeln, den sie in ihren Bienenstock bringen.


 


 


 


 


 


 


 


 


 


 


 


 


 


 


Blubbs liebt die Lieder, die die fleißigen Bienen während ihrer Arbeit summen. Manchmal versucht er mit zu singen, doch aus seinem Mund kommt immer nur ein Quaak-Quaak. Das macht ihn etwas traurig.


Blubbs sieht auch, wie sich am Himmel über ihm Wolken sammeln. Er weiß, dass es bald regnen wird. Dann hüpft er ganz dicht an die Blume heran und stellt sich unter eines ihrer Blätter. So wird der kleine Frosch nicht nass.


Siehst Du, Blubbs weiß bereits einige Dinge. Und die Natur wird ihn noch viele andere lehren.


 


 


 


 


 


 


 


 


 


 


 













Und wenn nach dem Regen wieder die Sonne scheint, und besonders in der Mittagszeit, wenn sie ganz hoch am Himmel steht und die Luft sehr warm ist, dann hüpft der kleine Blubbs an das Ufer des Teichs. Er schaut sich noch einmal zu seinen Freunden um, als wollte er ihnen zurufen: 'Quaak, ich bin bald zurück.' Dann springt er in das herrlich kühle Wasser. Er hat dabei keine Angst, weil Frösche vom ersten Tag an schwimmen können.














 


 


 









Und wenn er ins Wasser eintaucht, was meinst Du wohl, was macht es da? Es macht Blubbs. Und daher hat der kleine Frosch seinen Namen."


 


 


 


 

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Kurzgeschichte,

2 Seiten, bisher nur

auf dieser Website

Tessmanns Hausaufgaben


Wenn auch nicht mit einem derart dramatischen Abgang, so ist die Handlung dennoch nicht nur fiktiv. In der Tat musste der Protagonist so manches Mal nach Hause laufen, und es ist gelegentlich vor gekommen, dass wir bis zum nächsten Tag auf sein neuerliches Erscheinen warten mussten. Aber bitte, lesen Sie selbst, was sich zugetragen hat.


Ich veröffentliche hier die ungekürzte Fassung meiner Kurzgeschichte.

Entstehungsjahr: 2003

Ungekürzte Originalfassung


Die Schulbänke unseres Klassenzimmers waren wie zwei Kämme angeordnet, die Zähne gegeneinander. In der Mitte führte ein Gang zur Tafel und zum Lehrerpult. Von dort erschallte es durch den Raum:


„Tessmann, zeig mir doch mal deine Hausaufgaben!"


Tessmann saß mir gegenüber in der langen Bankreihe, hinter ihm die weiße Wand. Er schwieg, zeigte keine Regung, saß einfach da - wie ein Chamäleon - regungslos, ... saß nur da, ... schaute in die Leere. Wir schwiegen alle, starrten gebannt auf Tessmann, der nur dasaß,...erstarrt,...wie ein Chamäleon. Große haselnussbraune Augen. Tessmann. Armer Tessmann.


Lehrer Grisse erhob sich von seinem Stuhl. Die Welt drehte sich wieder. Er öffnete die Lippen. Einen Spalt nur, verbissen, zahnlos, als hätte sein Gebiss beim morgendlichen Putzen seiner strengen Begutachtung nicht genügt.


Tessmann glotzte in die Unendlichkeit - wie ein Chamäleon. Seine Teilnahmslosigkeit war eine Fata Morgana. Er hatte sich wie ein verängstigtes Tier tot gestellt, war starr vor Angst. Als er die schleichende Bewegung des Lehrers bemerkte, erwachte er aus seiner gekünstelten Lethargie und beugte sich behäbig zu seinem Tornister herunter. Sein Kopf verschwand halb unter dem Tisch. Wir sahen nur noch weißblonde Strähnen, die wie ein Mop herunterhingen. Dann begann es zu rascheln. Tessmann suchte ... und raschelte ... und suchte. Sinnlose Suche. Immer war sie sinnlos - seine Suche. Armer Tessmann. Er raschelte, bis er meinte, seine akribische Mühe zur Genüge bewiesen zu haben.


Endlich tauchte er aus den Tiefen der Hoffnungslosigkeit auf, und in einem blitzartigen Anflug prallen Lebens schleuderte er mit einer rasanten Bewegung des Kopfes die langen, seitengescheitelten Strähnen aus dem Gesicht. So schnell, wie das Chamäleon seine klebrige Zunge herauskatapultiert, um ein Insekt zu fangen. Aber Tessmann machte keine Beute.


„Schit", fluchte er in sich hinein. Sonst nichts. „Schit", als er sich dem stechenden Blick von Lehrer Grisse ausgeliefert sah, der sich, zwischen zwei Kammzähnen stehend, vor Tessmanns Bank aufgebaut hatte; der sich langsam und unerbittlich vorbeugte, und beide Fäuste auf den Tisch stemmte; der Tessmann zu seiner Beute machte.


„Na, Tessmann, was ist nun?"


Tessmann zögerte ... abwartend ... als wollte er Zeit schinden ... ein Loch suchen ... durch das er entschlüpfen konnte.


„Ich..."


„Ja?"


„Ich habe mein Heft vergessen."


„Wie bitte? ... Tessmann, sag es lauter, damit ich es verstehen kann!"


„ICH HABE MEIN HEFT ZUHAUSE VERGESSEN."


„Aah!" Lehrer Grisse richtete sich auf, drehte sich, und schritt zum Mittelgang. Fünfundzwanzig Drittklässler schwiegen ihn an.


„Sag es noch mal, Tessmann!"


„ICH HABE MEIN HEFT ZUHAUSE VERGESSEN."


„Hört Hört! Tessmann hat sein Heft zuhause vergessen." Strom durchfloss den Lehrer, der war von solcher Geballtheit, dass Lehrer Grisses Gesicht glühte. Wieselflink schwang er auf dem Absatz herum, und seine Überspannung entlud sich mit Getöse in den Worten „Tessmann?!... Kratz die Kurve!" auf die träge Echse, die entgegen ihrer Natur, nun, aufgrund der wohl wissenden Bedeutung der gestrengen Worte des Lehrers, nach dem Ranzen griff, und schon die Türklinke in der Hand hielt, als ungnädige Worte den Raum erbeben ließen: „...Und wag es nicht, ohne Hausaufgaben zurückzukommen!"


Tessmann hatte sich bis zum nächsten Tag Zeit gelassen. Das liegt länger als dreißig Jahre zurück. Tief in unserem Innern bewahren wir solche Erlebnisse. Wir können uns Widerfahrenes nicht mehr auslöschen. Auch wenn wir es nicht sehen, es ist da. Ich habe daran gedacht, als ich in der Zeitung auf sein Foto stieß. Tessmann und ich haben uns seit der gemeinsamen Grundschulzeit nicht mehr gesehen. Er ist allen aus dem Weg gegangen. Wer weiß, warum? Vielleicht hat er geglaubt, wir hielten ihn für falsch. Und damit hat er recht gehabt. Er war allein, ungeliebt, und nichts ist grausamer, als nicht geliebt zu werden. Tessmann hat seinen zweiundsechzigjährigen Vater erschlagen.


„Einfach so", hat er gesagt. Nichts weiter. „Einfach so", als der Richter ihn gefragt hatte, warum er das getan habe, mit einem Baseballschläger. So stand es in der Zeitung zu lesen. Acht weitere Schläge auf den Kopf, da hatte der Vater bereits leblos vor dem Küchentisch gelegen. So die Gerichtsmedizin.


Grauenvoll zugerichtet hatte er dort gelegen - sein Körper - blutige Hirnmasse auf dem kalten Kachelboden. Seelenlos. Ausgeprügeltes Leben. Der Sohn hatte mit angezogenen Knien auf dem Fußboden in der Ecke gekauert, als Frau Tessmann den Raum betreten hatte, die Einkaufstaschen in der Hand. In einem letzten Aufbäumen verständigte sie den Notarzt, bevor sie zusammengebrochen war, und alles seinen Weg ging, so, wie alle Dinge ihren Lauf nehmen. Aus den Erfahrungen der Vergangenheit werden uns Ziele vermittelt. Wir wissen nicht, was uns die Zukunft bringt, aber jedes Einzelnen Ziel steht fest.


Nun muss Tessmann nicht mehr die Kurve kratzen. Vielleicht hat er sich danach gesehnt.

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In dieser Kurzgeschichte habe ich mich einmal in humorvoller Weise über meine "Großfamilie" ausgelassen. Ich fürchte, dass ich dem alltäglichen Treiben nicht immer so gelassen gegenüber stand, oder wie in der Geschichte: Gegenüber saß.


Die vollständige Fassung sende ich gern über das Kontaktformular per Mail als Druckdatei zu.


Entstehungsjahr: 2000

    Sieben unter einem Dach

Kurzgeschichte,

30 Seiten

Leseprobe


Pia sitzt auf ihrem Tigerfell im Wohnzimmer und verfolgt aufmerksam eine Kindersendung im Fernsehgerät. Das Wetter ist mies in diesem Sommer, so auch heute an einem Sonntagvormittag.


Ina - dass ist meine Frau - liegt auf dem Sofa und ist mit Bauchweh eingeschlafen. Später wird sie sich hoffentlich wieder wohl fühlen und falls es trocken ist, könnten wir uns die Jacken überstreifen und zum „Renzenbrink" laufen, um die Ziegen und das Rotwild mit Brotresten zu füttern.


**


Dann bemerke ich Pia, die neben dem Schrank steht. Die Arme hängen herab, das Haar ist zerzaust - eigentlich ist es immer zerzaust - die Hose verrutscht bis unter ihren Babybauch. Der Bauchnabel ist frei. Natürlich hat sie wieder nicht ihre Hausschuhe an den Füßen. Sage, bitte oder befehle ich: „Kannst du mal deine Hausschuhe anziehen", fragt sie immer: „Wo sind meine Hausschuhe?"


Sie steht neben dem Schrank, sieht mich an, als würde sie meine Unruhe spüren und bemerkt mit ernstem Ton: „Das ist aber nichts Slimmes, Papa!"


Ich schaue sie mit dem Ausdruck eines schockierten Menschen an, doch dann muss ich lächeln.


**


Die Ruhe kehrt aber nicht zurück. Als hätten sie sich abgesprochen, kommt plötzlich Tomas hereingestürzt. Er meldet sich mit einem lauten, schrillen Indianergeschrei an - was ich für völlig überflüssig halte - man konnte ihn unmöglich überhören, als er die Holztreppe vom Obergeschoss nach unten mit schwerem Fuß bewältigte, als wäre er ‘Nuna’, der Elefant aus unserem Zoo. Ich frage mich zuweilen, wie das möglich ist, dass ein 11-jähriger Junge mit einem eher wohlwollend geschätzten Körpergewicht von 35 Kilogramm einen derartigen Lärm verursachen kann, um meine Gedanken auf die massige ‘Nuna’ zu lenken.


**


Tomas ist sehr schlank, drahtig, und falls wir ihn nicht mindestens zehnmal angehalten haben, sich zu waschen und anzukleiden, trägt er noch um 16 Uhr seinen heißgeliebten, arg verschlissenen Schlafanzug, mintgrün und hellgrau gestreift mit rosaroten Ärmelbündchen. Überhaupt haben wir festgestellt, dass Tomas äußerst ungern seine Kleidung wechselt.


**


Kerstin, die Tochter aus der ersten Ehe gleicht dagegen viel mehr meiner Frau, wenn man von besagter Brille und den abstehenden Ohren absieht. Es ist schön, wenn man die Unregelmäßigkeiten und Schlechtigkeiten auf den Vater abschieben kann. Sie ist 15 Jahre alt, selbst fühlt sie sich zu dick, darüber kann ich nur lachen - Ina auch. Wenn sie zu dick wäre, würde ich nicht lachen. Sie fühlt sich zu klein. Darüber lache ich nicht. Es stimmt, sie ist klein, aber kann ein Mensch zu klein sein? Die Größe eines Menschen wird nicht in Zentimetern gemessen - Ina ist der lebende Beweis. 1 Meter und 57,5 Zentimeter groß, das sind immerhin 1575 Millimeter. Sie liebt die Kinder, sie liebt mich, sie liebt die Menschen und die Tiere (außer die Spinnen, davor muss ich sie beschützen).


**


„Uh-uh-uh-uh-uh". Pia äfft soeben den Kriegsschrei der Indianer nach, indem sie ein langgezogenes Uuuu ausstößt und dabei gleichzeitig mit der rechten Hand den Mund wiederholt abdeckt und öffnet. Das hört sich noch sehr piepsig an. Sie sitzt dabei auf dem Tigerfell, während Tomas einen Kriegstanz aufführt, wobei er sich den Ritualen der Indianer entsprechend um das Tigerfell herbewegt.


Er heult und jault dabei, schaut zum großen Geist hinauf, senkt den Kopf erneut und ist in stetiger Bewegung. Mein Kopf droht zu platzen. Ich glaube, ich bekomme auch Bauchweh - wie Ina. ‘Nur ruhig bleiben’, denke ich mir, ’ist doch nur ein Spiel’. Pia schaut mich nicht an, sonst würde sie sicherlich sagen: ‘Das ist aber nichts Slimmes’.


**


„Papa, kann ich telefonieren?" Nadine steht vor mir und sieht mich bittend an. Mit 16 Jahren kann man selbstverständlich telefonieren, was ich ihr auch zu verstehen gebe, als wollte ich sie korrigieren. Schreiend, die Indianer haben erneut zum Kriegsgeheul angesetzt, erteile ich ihr die Erlaubnis: „Selbstverständlich." Warum war eigentlich unsere letzte Telefonrechnung so hoch ausgefallen? War das etwa im letzten Monat, als Nadine so ausdauernd mit ihrer Freundin telefonierte? Ich glaube, die hat ein Mobiltelefon.


„Nadine", rufe ich, „Nadine", doch sie hört mich nicht


**


Iris ist jetzt zwölf. Da beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Sie darf schon allein in einen ‘James-Bond-Film’ gehen. Jeder möchte das, nur Iris nicht. Tomas möchte in einen ‘James-Bond-Film’ gehen, aber der ist erst elf. Kerstin möchte in Filme ab sechzehn gehen, aber die ist erst fünfzehn. Nadine ist sechzehn. Ina und ich gehen mit Vorliebe in Filme ab sechs oder ab zwölf. Die sind frei von Gewalt. Wir mögen keine Action. Erotische Filme lehnen wir ebenso ab. Da bevorzugen wir die Eigeninitiative und außerdem ist unser Bedarf an Erotik schon durch das Werbefernsehen gedeckt. Solche Filme sind ab achtzehn. Davon haben die Kinder noch nicht gesprochen. Tomas sowieso nicht, er zeigt in dieser Hinsicht noch kein Interesse an Mädchen.


**


Iris ist ein Mädchen und hatte schon einen Freund. Ich meine zu wissen, dass da sogar schon Küsse ausgetauscht wurden. Sie hat mir von ihrem Freund erzählt und ich habe eine Spur von Stolz in ihren Augen erkannt, obgleich sie eigentlich den Eindruck erwecken wollte, als würde sie mir diese Mitteilung nur beiläufig machen - nur um mich zu informieren.


**


Pia’s Teddybär wird soeben mit in das Schlachtgeschehen einbezogen. Er ist ohne Zweifel ein Feind. Tomas zieht ein Messer aus seiner Schlafanzughose - das stammt aus Pia’s Spielküche - massakriert den Bären und skalpiert ihn anschließend fachgerecht. Dann hält er triumphierend den Skalp in Form einer alten Socke in die Höhe. Man muss sich das vorstellen: Es gibt eine Einigkeit unter den Kindern, wenn sie am Abend ihre Socken ausziehen, bevor sie sich vor den Fernseher auf den Boden legen und mit einer Decke umhüllen.


Die Socken liegen am nächsten Morgen von den Kindern unbeachtet in alle Ecken verstreut. Falls Ina sie nicht einsammeln würde, hätten sie beim nächsten Osterfest die Chance, beim Sammeln der Ostereier als Geschenk verkannt zu werden.


**


...wenn dieser Junge dann in die Küche geht, sich suchend umschaut und nach kurzem Zögern laut ruft: „Mama, wo sind die Kornflakes ?" Die Mama antwortet zwar mit Unverständnis, jedoch noch ruhig: „Die stehen im Vorratsraum." „Da habe ich schon nachgesehen, sie stehen nicht dort." Also bewegt sich die Mama in die Küche und holt die Dose mit den Kornflakes aus dem Vorratsraum, stellt sie auf den Tisch und sagt: „Du wirst doch wohl wissen, wo die Kornflakes stehen. Dort stehen sie doch immer." „Wie soll ich denn wissen, dass ihr die in die Dose gefüllt habt ?" „Wir füllen die Kornflakes schon seit zwei Jahren in diese Dose."


Was ist nun, wenn dieser Junge sich einfach nur wie Zuhause benommen hat? Anschließend bereitet er sich eine große Portion vor und stellt fest, dass die gewünschte Milchmenge nicht ganz in die Schüssel passt, was dazu führt, dass sich ein Teil über den Tisch ergießt. Beim Transport an seinen Platz im Wohnzimmer hinterlässt er eine weiße Spur. (Es könnte Milch sein). Hier und dort ein Spritzer, wie ein Hund, der eine Geruchsspur markiert. Genau so, wie Zuhause?


**


Pia macht Anstalten, aufzustehen, doch Tomas sagt: „Du musst dort sitzenbleiben, Pia, du bist doch meine Squaw". Er stellt ihr einen Topf samt Zubehör aus ihrer Spielküche auf das Tigerfell und sagt ungeheuer wichtig: „Du musst doch das Essen machen. Büffelfleischsuppe. Ich bin der Mann. Ich muss jetzt jagen". Pia schaut etwas unschlüssig auf den Topf vor ihren Füßen, dann wieder zu Tomas. Sie hebt den Zeigefinger der rechten Hand und sagt: „Wenn ich gewachst bin, dann geh’ ich auch mal jagen". Nadine lacht und korrigiert: „Das heißt doch, wenn ich gewachsen bin". Pia schaut sie schelmisch an, lacht zurück und albert: „Nein, das heißt doch ‘Wenn ich gewachst bin’."


**


Iris taucht im Türrahmen auf. Ihr Blick wandert von mir zu Tomas und Pia. Tomas setzt sie als Squaw ein - sie kocht fortan die Büffelfleischsuppe - und endlich wird Pia zum Jäger befördert. Der Bär muss jetzt als Beute herhalten. Das Fell wird ihm über die Ohren gezogen. Er wird in Stücke zerlegt. Tomas liefert für sein Handeln die passenden Kommentare. Wenn er auf dem Hausflur Fußball spielt, hört sich das annähernd so an, nur, dass es dann um Ecken, Flanken, Anstoß und Tor geht. Seine Reportagen schmückt er professionell mit schillernden Namen aus der Fußballwelt aus. Frage ich ihn, ob er sich vorstellen könnte, eines Tages Sportreporter zu sein (früher wollte er ‘Ferrari’-Verkäufer werden), dann tänzelt er, den Kopf auf den Ball gerichtet, mit diesem über den Flur und schüttelt den Kopf. Er kann jetzt nicht sprechen, da die Übung seine volle Konzentration verlangt.


**


Unter dem Strich und resümierend betrachtet sind wir eine großartige Familie. Individualisten sind wir nicht nur an trüben Tagen. Und gerade deshalb ist es niemals langweilig in unserem Haus. Sieben phantastische Menschen unter einem Dach, von drei bis vierzig, jeder mit Ecken und Kanten, die Ina und ich nicht beseitigen wollen, nur abrunden...

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Kurzgeschichte im XXS-Format, 1 Seite

Zeit hinter dem Spiegel


Nicht der Tod ist grausam. Es ist der Spiegel, der an der Grenze zu seinem Reich steht. In diesem Spiegel sieht man das zurück Liegende, das man noch nicht bereit ist, los zu lassen in der untröstlichen Gewissheit, nun hindurch gehen zu müssen in eine neue Zeit. Man hat ja keine Wahl, nicht wahr?


Ich veröffentliche hier eine XXS-Kurzgeschichte

Entstehungsjahr: 2003.

Ungekürzte Originalfassung


Ich betrat ein fremdes Zimmer. Es hatte weiße Wände dort, wo das frühjährliche Tageslicht einfiel, der Rest war aschgrau gefärbt von den Schatten der Todesengel. Die Einrichtung beachtete ich nicht, nur das hohe Bett hinten links an der Wand, das mit dem Fußende in den Raum ragte.


Kalt war das Gestänge, als ich es umfasste, am Bettende stehend, in meinem chicen Anzug und auf meinen Vater starrte, der dort lag, zugedeckt bis zur Brust mit einem weißen Laken. Die Hände hatte ihm jemand über dem massigen Oberkörper gefaltet. Die behaarten Arme waren bis oberhalb der Ellbogen entblößt. Unter dem dünnen Laken zeichneten sich spindeldürre Beine ab. Mein Blick hatte sein Gesicht gemieden, aus Furcht vor der Wahrheit, die es mir erzählen würde.


Die Zukunft ist die Zeit hinter dem Spiegel. Nun musste ich durch ihn hindurch in eine neue Epoche eintreten. Meine Augen wanderten zögernd von den Kanüleneinstichen auf der linken Hand über die scheinbar endlose Schneewüste des reinen Tuches zum Gesicht meines Vaters. Sein silbriges Haar war ordentlich gekämmt. Die geschlossenen Augen kündeten Frieden. Die blassen Lippen lächelten. Die Haut war fahl und glatt rasiert, während die Koteletten sich sträubten, als wollten sie den Tod nicht hinnehmen.


Ich war leise neben das Bett getreten. Dann lag ich schluchzend, mit ausgebreiteten Armen, über meines Vaters Brust und streichelte ihm blind vor Tränen durch das weiche Haar. Seltsam. Niemals zuvor war ich ihm so nah gewesen.

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Erzählung, Paperback, 68 Seiten

6,90 €

E-Book: 4,99 €



Herr Porz denkt einen ganzen Tag über die Freiheit nach         


Der kauzige Rheinländer Ottmar Porz nimmt die Tortur einer Schifffahrt auf sich, um ein lukratives letztes Geschäft abzuschließen. Doch darum soll es gar nicht gehen. Der Titel sagt, worum es geht. Hinzu kommen eine Hand voll Randfiguren, eine atemberaubende Landschaft und eine ebensolche Frau; eine heilige Weise.


Diese Erzählung lag mir lange am Herzen. Sie musste reifen. Ich habe sie im Dezember 2016 veröffentlicht. Sie ist erhältlich über den Buchhandel, Libri, Amazon oder im Buchshop von BoD.   


Veröffentlicht bei

BoD Books on Demand, Norderstedt

Erscheinungsjahr: Erstauflage 2016

ISBN-13: 978-3-7431-4197-1

Leseprobe


Sankt Nicolai läutete zur Mittagsstunde, als Herr Porz das Foyer des Hotel Stadt Hamburg betrat, das an der Promenade gelegen war. Nach kurzer Orientierung bewegte er sich auf den Empfang zu, wo er von einem groß gewachsenen Concierge mit einem roten, hochgezwirbelten Schnurrbart begrüßt wurde, der auffällig blass im Gesicht, aber penibel glatt rasiert und überdies adrett gekleidet war. Einem Herrn Porz, der Oberflächlichkeit nicht leiden mochte, konnte nicht entgehen, wenn sich Jemand auf gepflegte Garderobe verstand. Der hagere Concierge, den Herr Porz auf etwa Fünfzig taxierte, hatte seine königsblaue Krawatte zu einem formvollendeten Victoria-Knoten gebunden.

Deshalb zog Herr Porz ein wenig die Mundwinkel hoch, wodurch sich ein Grübchen auf seiner rechten Wange bildete -ein untrügliches Zeichen für Anerkennung- bevor er dem Concierge seinen Namen nannte: „Porz. Ottmar Porz“, sagte er.

Der Empfangschef musterte ihn daraufhin, hob fast unmerklich eine seiner roten Brauen und sah dann in sein Buch, als wollte er das Gesicht mit einem Foto abgleichen. Herr Porz schielte über den Tresen, erhaschte einen Blick in das aufgeschlagene Buch, erkannte dort jedoch keine Fotografien, nur Namen und nahm wieder Haltung an.

„Ah, Herr Porz“, bestätigte der Concierge. Dabei zeigte er mit dem Zeigefinger auf eine Stelle in seinem Buch: „Ja, selbstverständlich, Herr Porz. Zwei Übernachtungen. Ist das richtig?“

So hatte es Herr Porz gebucht und gab dies zu verstehen. Den Concierge interessierte nun, ob Herr Porz bereits zuvor einmal Gast im Hotel Stadt Hamburg gewesen sei.

„Gott bewahre!“, entfuhr es Herrn Porz, was ihm einen verwirrten Blick des Concierge einbrachte, woraufhin Herr Porz entschuldigend mit den Händen wedelte und sich auf seine rheinische, hemmungslose Art über die ihm eigene Neigung zur Seekrankheit in ausgeprägter Form äußerte.

Der Concierge nickte kommentarlos und ließ Herrn Porz den Anmeldezettel ausfüllen. Während dieser Prozedur erklärte er die Gepflogenheiten des Hauses. Dann überreichte er Herrn Porz den Zimmerschlüssel, erklärte den Weg und verabschiedete sich vorerst mit den Worten: „Falls Sie Fragen haben, oder für den Fall, dass es etwas zu beanstanden gibt, stehe ich gern zur Verfügung. Mein Name ist Hansen. Nun, Herr Porz, wünsche ich Ihnen einen angenehmen Aufenthalt auf unserer Insel. Das Wetter soll sich halten.“

Herr Porz legte zum Gruß zwei Finger an die Schläfe: „Ay Ay“, sagte er schelmisch und sah auf das Namenschild am Jackett des Concierge. Emil Hansen stand dort in schwarzen Lettern auf Messing. Ein alter nordischer Name, den er sich einprägen wollte.


Wie er vor dem Spiegel stand, um sein volles, links-gescheiteltes, vom zurrenden Wind auf der Kaje etwas angegriffenes Haar zu richten, verharrte er für einen etwas ausführlicheren Blick auf sich selbst. Kurz streckte er die Zunge heraus: Lebendig rot. Kein Belag. Die Zähne glatt. ‚Das kann sich sehen lassen‘, mutmaßte Herr Porz und schrieb dem dezenten Gelbstich eine heimelige Noblesse zu. ‚Die Partie zwischen der Nasenwurzel und der Oberlippe ist kürzer als gewöhnlich‘, sagte er sich zum tausendsten Mal und erklärte sich mit den buschigen Augenbrauen einverstanden, die seine strahlenden graublauen Augen beschatteten. Glückselig stellte er fest, dass seine Gesichtsfarbe -und besonders nun durch den Einfluss der salzigen Luft- die Frische des Lebens bezeugte und nicht annähernd das leichenhafte Aussehen des Concierge Emil Hansen hatte, den er plötzlich ein wenig bedauerte, dann aber den Gedanken schnell vertrieb. ‚Das kann sich sehen lassen‘, konstatierte Herr Porz noch einmal. Er fand sich mit seinen achtundfünfzig Jahren durchweg annehmbar und bestaunte nun das kleine Grübchen auf der rechten Wange: ‚Das hat mir die Mutter hinterlassen‘.

Ein wenig gerührt trat er aus dem Bad in sein Zimmer und genoss, vor der Fensterfront stehend, eine Weile das flach einfallende gleißende Sonnenlicht. Und weil ihm dies so gut gefiel, entschloss er sich entgegen seiner ersten Überlegung, er könne ein wenig auf dem Bett ausruhen, für einen Gang über die Insel. Sie sollte doch nicht so groß sein. Ein wenig unsicher sah er sich um. „Es wird frisch sein“, murmelte er, „da oben“, fügte er hinzu und dachte an das Oberland, das er sich als flache, ungeschützte Ebene vorstellte. Herr Porz war niemals hier gewesen (wie er bereits Herrn Hansen erklärt hatte).

‚Die Sonne treibt ihr Gaukelspiel, ich will mich nicht blenden lassen‘, dachte Herr Porz und entdeckte amüsiert die Zweideutigkeit des Gedankens. Unwillkürlich griff er nach seinem Mantel und dem Schal. Beides hatte er bereits in den Kleiderschrank gehängt.

Vor dem Fahrstuhl wartend wurde er gewahr, dass ihm seine Stetson-Schirmmütze von Nutzen sein könnte. Doch als er bereits im Begriff war, sich abzuwenden, zögerte er. Ihm kam in den Sinn, dass die Dame, die neben ihm stand und ebenfalls den Aufzug erwartete, einen falschen Schluss ziehen könnte: „Entschuldigen Sie“, bemerkte er deshalb, was ihm einen verwunderten Blick der Frau einbrachte. Herr Porz zeigte auf seinen Kopf: „Ich habe meine Mütze vergessen.“

Mit einem dezenten Räuspern drehte er sich um und schritt den Gang entlang, wobei ihm die Dame mit der blonden Mähne verträumt nachsah. Als Herr Porz seine Tür geöffnet hatte und noch einmal herüber schaute, stand die Dame nicht mehr dort.

Die Eingebung war aufgrund seiner kurzen Abwesenheit abstrus, aber Herr Porz sagte sich in diesem Moment, als er das noch ungewohnte Zimmer betrachtete: ‚Es hat sich nichts verändert‘. Ohne Hast holte er die Schirmmütze aus seinem Reisekoffer und machte sich sogleich erneut auf den Weg.


Vor dem Hotel streckte Herr Porz die Nase in den Himmel und sog einmal ganz tief die vom Geschrei der Möwen erfüllte Seeluft ein. Als er auf die Hafenbucht schaute, bemerkte er unweit auf einer Bank sitzend die Dame vom Fahrstuhl, die nun auch auf ihn aufmerksam wurde.

Herr Porz sah, wie sie ihm zuwinkte und dann mit ihrer Hand kreisende Bewegungen über ihrem Kopf vollzog. Fragend neigte er den Kopf und begriff: Die Schirmmütze. Sie fragte sich wohl, wo die Mütze war. Er hielt sie noch in der Hand.

Mit lautem Lachen streckte er sie in die Höhe und zeigte mit der anderen Hand darauf. Die Frau erwiderte, indem sie mit dem Zeigefinger auf ihre Mähne wies. Sie schien amüsiert; vielleicht, weil sie die Reaktion des Herrn (er hatte sein Lachen abrupt eingestellt) als Zeichen dafür deutete, dass er sie nicht verstand.

‚Was meint sie‘, dachte Herr Porz, ‚habe ich Etwas auf meinem Kopf‘?

Und schon wieder tippte sie sich auf die Mähne. Ach, jetzt zeigte sie auf seine Hand. Aber natürlich. Er knallte sich die flache Hand vor die Stirn und brach erneut in Gelächter aus. Es war nicht ein Etwas auf seinem Kopf, nein, vielmehr fehlte da was. Sogleich setzte er seinen Stetson auf und rückte ihn zurecht. Und tatsächlich: Die Dame, die nach wie vor auf der Bank verweilte, nickte ihm zu und stellte, offensichtlich zum Zeichen ihres Einverständnisses, den Zeigefinger hoch. Ihr Blick nahm wieder diese seltsam verträumte Note an, die Herr Porz an dieser Stelle zum ersten Mal registrierte (Zuletzt hatte sie ihm noch nachgesehen). Für einen weiteren Moment entgegnete sie seinen Blick, ehe sie ihren Kopf wieder dem Treiben im Hafen zuwandte.

Die Dame bemerkte nicht mehr Herrn Porz Winken, der sich jetzt nach Westen wandte. Sein Plan war der, nicht einen der Aufzüge zu nehmen, die auf das Plateau hinauffuhren. Ihm schwebte vor, die Insel ohne Hilfsmittel zu umrunden.


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Andere Autoren

Memoiren, Hardcover, 228 Seiten,

20,90 €

E-Book: 6,49€


Paul Czervan

Stell dich hinten an - Lebenserinnerungen         


Wenn jemand ungarische Wurzeln hat und einen Kommunisten zum Vater, der aufgrund seiner politischen Gesinnung verfolgt und vertrieben wurde, bis er schließlich in Deutschland seine neue Heimat, seine Frau fand und diesen Jemand zeugte, der als Kind einen der grausamsten Kriegsschauplätze der Weltgeschichte überlebte, weil er bereit war, während des Krieges Verantwortung nicht nur für sich, sondern auch für seine Familie zu übernehmen, die den Ehemann und den Vater entbehren musste. Wenn...


Und eins ist gewiss: Wenn es diesen Jemand gibt, dann ist er eine bemerkenswerte Persönlichkeit. Er sollte seine Geschichte aufschreiben.


Veröffentlicht bei

BoD Books on Demand, Norderstedt

Erscheinungsjahr: 2012 (Neuauflage: 2017)

ISBN-13: 978-3-743-12712-8



Leseprobe


1938 wurde ich in Boscheln eingeschult und ein ganz stolzer Lebensabschnitt begann für mich. In den Schulferien durfte ich nach Gereonsweiler  zu meinen Tanten und meinem Bruder Willi. Willi wuchs bei ihnen auf.

Ein großer alter Bauernhof mit Ställen, Scheunen, Maschinen und Tieren war für mich die Erfüllung meiner Kindheit. Auch genoss ich es, dass mein lieber, großer Bruder mich beschützte und mich überall hin im Dorf mitnahm. Die drei unverheirateten Geschwister meiner Oma, zwei Tanten und ein Onkel, liebten meinen Bruder und mich sehr. Sie waren von einer Güte in Liebe und Frömmigkeit, an die ich mich bis zu meinem Tode erinnern werde.

1939 brach der Zweite Weltkrieg aus, und schon gingen in Europa erneut die Lichter aus. Mein Vater, der jetzt Anerkennung als Ausländer fand, meldete sich freiwillig. Nach zunächst empfundener Enttäuschung hatte er letztendlich doch Glück im Unglück, denn man hatte ihn nicht genommen, weil er als Bergmann sehr wichtig für den Kohleabbau war.

Alle paar Stunden hörte man Sondermeldungen über Siege in Polen. Die ersten Entbehrungen machten sich bemerkbar.

In der Schule hatten wir einen Lehrer, sehr gepflegte Erscheinung, immer piekfein im Anzug. Wir mussten Kampflieder lernen und Gedichte aufsagen, wie Heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt oder Ein Volk, ein Reich, ein Führer.

Aber trotz der Armut hatten wir Kinder eine schöne Jugend. Wir waren von morgens bis abends auf der Straße. Es gab noch wenig Autoverkehr, und die Straße gehörte uns Kindern. Mit einfachen Spielsachen, wie Seilchenspringen, Steinehinkeln oder Murmelspielen verbrachten wir unsere Zeit.

Beim Murmelspielen fällt mir ein, dass Einzelkinder immer etwas mehr hatten. Meine Mutter konnte uns kein Geld geben zum Murmeln kaufen, aber ich hatte auf dem Spielplatz eine verirrte Murmel gefunden. Ich fand ein Mamasöhnchen, das mit mir spielte. Nach einer Stunde lief er weinend nach Hause, er hatte keine Murmeln mehr, die waren nun alle in meiner Tasche.


In Übach wurde ein schönes Freibad eröffnet und meine Mutter kaufte uns einen durchgehenden Badeanzug, rotgestreift. Der Eintritt zum Freibad kostete zehn Pfennig. Die Umzäunung war mit schwachem Draht umgeben. Ich ging durch die Kasse rein und lüftete in einem günstigen Moment den Draht, und mein kleiner Bruder schlüpfte drunter durch. Jetzt hatten wir einen Zehner übrig und konnten uns zwei Eis zu je fünf Pfennig kaufen. Mein Geschäftssinn war schon früh geboren.

Ein alter aufgepumpter Fahrradschlauch wurde doppelt geschlagen und um unsere kleinen Körper gewunden, damit blieben wir über Wasser. Recht bald konnten wir schwimmen. Es war eine sehr schöne Kindheit. Ein Butterbrot hatten wir dabei, und getrunken wurde aus dem Wasserhahn.

Meine Mutter ließ uns alle Freiheiten, und dafür bin ich ihr bis heute dankbar. Sie war uns auch eine fröhliche Mutter; sie sang von morgens bis abends und so lernten wir alle Volkslieder. Sie war aber auch eine gute Märchenerzählerin, betete oft mit uns und lachte viel.

Da sie sich gerne hübsch machte, war sie für uns die schönste Mutter der Welt.


Für eine Lüge als Kind im Alter von sieben Jahren habe ich mich noch lange geschämt. An einem Nachmittag im Frühsommer fragte ich meine Mutter, wie lange man bis Gereonsweiler braucht, da ich oft große Sehnsucht nach meinem Bruder Willi verspürte. Sie gab gute zwei Stunden an. Ich rechnete aus: Zwei Stunden hin, zwei Stunden zurück, macht zusammen vier Stunden. Also: Zwei Uhr geht’s los, Vier Uhr Ankunft, zwei Stunden bleiben, macht Sechs Uhr, dann zwei Stunden zurück.... Also wäre ich um Acht Uhr wieder zuhause in Boscheln.

Los ging‘s, barfuß. Ohne, dass meine Mutter davon wusste.

In Gereonsweiler angekommen, waren alle auf dem Feld. Da ich alle Felder kannte, suchte ich nach Willi und den Tanten und fand sie auch. Willi freute sich, aber die Tanten ahnten nichts Gutes. Sie fragten mich, ob meine Mutter Bescheid wisse. Ich antwortete mit ja. Als abends die Dämmerung einsetzte, bekam ich ein schlechtes Gewissen und beichtete meine Lüge.

Im Dorf gab es nur ein Telefon bei der Post. Telefoniert wurde nur in Ausnahmen und Notfällen. Dies war ein Notfall.

Ich hatte die ganze Familie in Aufregung versetzt. Am nächsten Tag musste ich heimwärts, wieder ohne Schuhe. Kurz vor Baesweiler griff mich die Polizei auf, ich konnte sie aber überzeugen, dass ich auf dem Heimweg war.

Von diesem Ausflug an, hat mich die Reiselust gepackt und nie wieder losgelassen. Reisen ist für mich die größte Freude geblieben. Ein Vermögen habe ich für Reisen ausgegeben, doch niemals bereut.


Eines Tages war im Nachbardorf Kirmes mit Tanz. Wir gingen mit großen Vorsätzen und zwei Mark in der Tasche hin. Wir mogelten uns hinein, um die 50 Pfennig Eintritt zu sparen. Einer zahlte, ging hinein und kam dann mit der Karte eines Bekannten wieder raus. Jetzt konnten wir uns auch noch ein Bier leisten. Mit dem Bier in der Hand und nach Mädchen Ausschau haltend, standen wir an der Theke. Die Mädels standen dort in  ihren neuen Kleidern, die sie traditionsgemäß immer zur Dorfkirmes bekamen und erwiderten unsere Blicke. Wenn die Musik einsetzte, saßen die Mädchen, mit ihrer Cola in der Hand, an den Tischen und warteten darauf, dass sie zum Tanzen aufgefordert wurden.

Wir, meine Freunde und ich, konnten nicht tanzen. Da kam mir eine Idee. Wir würden uns die Mädchen holen, die kaum Chancen hatten, aber gut tanzen konnten:

„Wir müssen sie ja nicht küssen“, sagte ich zu meinen Kumpels. Gesagt, getan. Ich sollte als Erster gehen und musste all meinen Mut zusammen nehmen. Als die Musik bereits spielte, ging ich zu einem der Mädchen, die noch am Tisch saßen und forderte sie auf, gab aber sofort entschuldigend zu, nicht tanzen zu können, beteuerte jedoch meine Absicht, es schnell lernen zu wollen. Sie schaute ganz freundlich, lächelte mich an und sagte, dass ihr das nichts ausmache. Über mein „Gehopse“ könnte ich mich heute noch selbst auslachen. Bei der nächsten Damenwahl wurde nicht nur ich, sondern auch meine Freunde wurden aufgefordert. Der Anfang war gemacht und so „hopsten“ wir, denn Tanzen durfte man das noch nicht nennen, bis zum Ende durch. Später gingen wir mit vor stolz geschwellter Brust, singend nach Hause.

Meine Tänzerin hieß Maria und kam aus Porselen, und auf späteren Kirmesbällen forderte sie mich immer wieder gerne auf. Bei jedem Zusammentreffen tanzte ich einmal mit ihr.


Schon als Kind habe ich gerne älteren Menschen zugehört und Ratschläge angenommen. Ältere Menschen haben doch Lebenserfahrungen. Warum tun sich junge Leute heute damit so schwer. Seit eh und je in der Geschichte hat man sich Rat bei den Alten geholt. Heute hört man des Öfteren: Die Gruftis, die sind doch schon verkalkt.

Menschen, die Leistung gebracht haben, denen sollte zugehört und ihren Warnungen sollte Beachtung geschenkt werden. Von Menschen gemachte Katastrophen könnten vermieden werden, zum Beispiel Kriege, Überschwemmungen, Atompannen und so weiter.

Mein Vater hatte schon mit 45 Jahren zwei Weltkriege mitgemacht. Ein kleines Beispiel: Während eines Urlaubs in der Schweiz konnte ich einmal eine Kompanie beim Manöver beobachten. In einer Pause konnte ich einem Offizier eine Frage stellen: „Warum habt ihr Soldaten? Ihr seid doch an den Grenzen umgeben von Freunden, und im Ernstfall könntet ihr euch doch nicht verteidigen.“ Die Antwort kam prompt: „Das ist doch unsere Tradition.“ „Nein“, habe ich geantwortet, „es sind Pöstchen. Mit dem Geld könnte man so viel Gutes tun.“

Ich bin ein verschworener Pazifist. Auf der Fachschule hatten wir ein Fach Politische Gemeinschaftskunde. Da ging es hoch her, der Ostblock bestand ja noch. Unser alter Dozent war noch im Ersten Weltkrieg Offizier und Monarchie-Anhänger gewesen, ich übrigens auch ein wenig „Zweiteres“. Für eine konstitutionelle Monarchie würde ich sofort stimmen. Bloß keine Diktatur mehr, ich betone das für die jungen Leute, auch meine Enkel sollten sich des Öfteren darüber Gedanken machen, denn in einer Diktatur werden die Bürger entmündigt.

Wir haben übrigens im letzten Semester mal ausgerechnet, wie viel Kapital auf der Bank wäre, wenn wir bei Christi Geburt einen Cent zur Bank gebracht hätten. Dann hätte man heute sage und schreibe über eine Million Euro auf der Bank. Das muss doch wie Musik klingen. Von meinen Eltern wusste ich immer, was sie auf dem Sparbuch hatten. Das war ihr Stolz und sie wiederum wussten auch über meinen Verdienst und das Ersparte Bescheid. Wenn Kinder sich den eigenen Eltern nicht anvertrauen wollen, dann dürfen sie sich auch nicht wundern, wenn die es gleich tun. Eine Frage, die Alle angeht: Muss sich ein Vater die Liebe seiner Kinder besonders verdienen?

Kinder verdanken in erster Linie ihr Leben den Eltern, und die Eltern sind verpflichtet für Essen, Trinken und gute Erziehung zu sorgen; alles weitere bleibt den Kindern überlassen. Du sollst Vater und Mutter ehren, sodass es dir wohlergehe und du lange lebst auf Erden. Ein gutes Elternhaus ist für jeden sehr wichtig. Es ist auf der Welt so eingerichtet, dass man vom Liebsten einmal Abschied nehmen muss, und dann ist nichts mehr gut zu machen. Die Grabstelle meiner Eltern habe ich gekauft. Ich möchte meiner Mutter wieder in den Arm gelegt werden.


Mit 50 Jahren, von Pinella bereits getrennt, aber noch nicht geschieden, hatte ich großen Ärger mit dem Finanzamt.

Unser langjähriger Steuerberater hatte Eheprobleme und ging in der Folge auch noch pleite. Seine Kanzlei mit mehreren Angestellten ging den Bach hinunter, und meine Steuererklärung blieb einfach liegen.

Das Finanzamt erinnerte zwar zweimal an die noch offene Steuerklärung, aber ich war auf Reisen und bekam davon nichts mit. Die Post war einfach liegen geblieben. Das Finanzamt nahm nun eine sehr hohe Schätzung vor und pfändete meine Mieteinnahmen.

Plötzlich befand ich mich in großen finanziellen Problemen. Schlimm wäre eine Gehaltspfändung gewesen. Nach meiner Rückkehr nahm ich Kontakt zum Finanzamt auf. Meine Entschuldigung wurde von einem unhöflichen und gewissenlosen Beamten abgewie-sen. Nachdem ich lauter geworden war, warf man mich kurzerhand hinaus. Meine Verzweiflung war groß und meine Nerven im Keller.

Ich fragte mich ständig: Was kann ich machen.

Als Helfer fiel mir nur unser Bundeskanzler ein. Warum nicht einen Versuch starten? Der damalige Kanzler war Helmut Schmidt, ich schrieb direkt an ihn:


Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,


in meiner großen Verzweiflung wende ich mich direkt an Sie und bitte Sie um Hilfe.

Das Finanzamt will mir mein Haus weg nehmen. Fünf Kinder habe ich groß gezogen, eine Fachschule mit staatlichem Abschluss besucht und mit großem Fleiß und Sparsamkeit ein Sechs-Familienhaus gebaut. Ich habe meine Steuern immer pünktlich bezahlt. Für die Versäumnisse meines Steuerberaters darf ich doch wohl nicht bestraft werden?

Ich weiß mir keinen Rat mehr.


Schon nach einer Woche erhielt ich Antwort.

Er dürfe von Gesetzes wegen nicht in Steuerangelegenheiten eingreifen, aber meine Lage interessiere ihn sehr. Die Oberfinanzdirektion in Köln sei zur Überprüfung gebeten worden. Er möchte weiterhin informiert werden.

Drei Wochen später war alles erledigt: Statt 20.000 Deutsche Mark Schulden bekam ich 10.000 Deutsch Mark zurück.

Vor Freude bin ich in die Luft gesprungen. Ich werde unserem früheren Kanzler stets dankbar sein. Seitdem mache ich meine Steuererklärung immer selber. Mit dem Finanzamt hatte ich nie wieder Ärger.


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Roman, Paperback,

108 Seiten,

6,90€

E-Book: 3,99€

Paul Czervan

Mein Freund Rudi


Rudi ist ein trauriger Held. Nach zunächst schwerer Kindheit, später dann in der Fremdenlegion zu äußerster Härte erzogen, beweist er immer wieder seine Zähigkeit und seinen unbedingten Willen zur Gutmütigkeit.

Der Autor Paul Czervan beschreibt hier schnörkellos die Entstehung, die Entwicklung und den Bestand seiner Freundschaft zu diesem Mann, der so zufällig in sein Leben tritt, wie ein vom Wind verwehter Regentropfen zufällig nicht in Bremen, sondern in Kamp-Lintfort zu Boden fällt.

Zeit seines Lebens hat Rudi unter seinen Ratgebern solche, denen er vertrauensvoll auch dorthin folgt, wo es nicht zu seinem Besten ist.

Paul Czervan schildert aus seiner Sicht, nicht selten mit gequälter Stimme, wie sein Freund Rudi mit den Ungerechtigkeiten des Seins so beeindruckend gefasst um geht und den Autor selbst zu seinem treuesten Jünger macht.


Veröffentlicht bei

BoD Books on Demand, Norderstedt

Erscheinungsjahr: 2013 (Neuauflage 2017)

ISBN-13:  978-3-743-12698-5

Leseprobe


Als ich Mitte der fünfziger Jahre in den Ort kam, hatte er um die Dreißigtausend Einwohner, hauptsächlich Bergleute mit ihren Familien, zu denen ich mich gesellte.

Ja doch, ich erinnere mich, natürlich, Kollegen hatten mir gesteckt, dass auf der Kohlengrube Kamp-Lintfort Bergleute gesucht würden. Zögern war nicht mein Ding; ich wollte schließlich ein Abenteuer, mich reizte das Neue, das Ungewisse, und deshalb saß ich am nächsten Tag im Zug. Ohne große Schwierigkeiten fand ich den Weg zur Zeche, wo ich mich in der Verwaltung vorstellte. Ich wurde in einen nüchtern eingerichteten Raum geschickt, in dem ich warten sollte, bis ich aufgerufen würde.

Die Wände waren weiß getüncht und mit einigen Fotos der Zeche geschmückt. Vor den Fenstern hingen schmuddelige Gardinen, der grüne Linoleum-Fußboden war gewischt, jedoch nicht frei von Schlieren. Zwei Männer, beide etwas älter als ich, saßen auf einer der beiden Holzbänke. Sie unterbrachen ihr Gespräch und schauten mich neugierig an. Ich nahm ihnen gegenüber Platz. So hatte ich sie im Blick. Es dauerte nicht lange, da nahmen sie ihr Gespräch wieder auf:

Der mit dem Schnauzbart und den Geheimratsecken lehnte sich zurück und verschränkte seine Arme vor dem Bauch. Er blinzelte vor sich auf den Boden und sagte: „Meine Alte macht mir inzwischen das Leben schwer, weißt Du. Früher hatte ich die Hosen an, da kannst Du sicher sein, aber jetzt, wo ich keine Arbeit hab…“

„Ist nicht viel anders bei mir“, erwiderte der Andere, ein hagerer, schlaksiger Kerl mit großen, blutunterlaufenen Augen: „Ich bin Dir schon dankbar für den Tipp hier mit der Friedrich Heinrich.“

„Kannst Dich bei meiner Alten bedanken. Ich und unter die Erde? Freiwillig? Wär mir nicht im Traum eingefallen. Da kann ich später noch genug Zeit verbringen. Aber die Alte lässt ja nicht locker. Geld muss her, hat sie gesagt. Das ist wichtiger als meine Gesundheit.“ Der Schnauzbart stupste seinen Nachbarn an: „Das hat sie nicht gesagt, das mit der Gesundheit. Aber Egon, Du willst mir nicht erzählen, dass Dir das Spaß macht. Willst doch auch kein Bergmann werden.“

Sein Nachbar sah ihn mit offenem Mund an. Ich hatte den Kopf geschüttelt, weil ich nicht glauben konnte, dass es in dieser Zeit Menschen gab, die keine Arbeit hatten. Und hier traf ich gleich auf zwei Exemplare.

„Ich war noch niemals unter Tage“, stellte Egon fest, „weiß ich nicht, ob es mir gefällt. Aber probieren möchte ich’s schon.“

Ich ließ mich zu einem Kommentar hinreißen: „Es gibt gutes Geld. Das ist es, was zählt.“ Der Schnauzbart musterte mich bekümmert. Egon starrte mich mit seinen roten Augen an und hatte den Mund offenbar aus Gewohnheit noch immer offen.

„Tach auch“, presste der Schnauzbart hervor, der offensichtlich mit meinen Worten nichts anfangen konnte, „hast´n großes Mundwerk für Dein Alter.“

Ich war nicht auf den Kopf gefallen und was sagen mochte ich. Deshalb erwiderte ich unerschrocken: „Ich weiß, wovon ich rede.“

„Nichts weißt Du. Gesundheit zählt mehr als alles Andere.“ Er wollte sich wieder seinem Bekannten zuwenden. Dabei hob er den Zeigefinger und hatte bereits zum sprechen angesetzt, als ich schmunzelnd zu bedenken gab, das er sich ohne Geld seine Gesundheit in die Haare schmieren könnte. Da hatten beide das Maul offen und ich wusste nicht zu deuten, ob sie mehr über meine Forschheit oder eher über das Gesagte staunten.

In dem Moment wurde die Tür geöffnet. Im Rahmen stand die Empfangsdame, die, so wurde mir jetzt klar, in ihrem schweren rot-schwarz-karierten Wollkostüm, den bemalten Lippen und der gepflegten Wasserwelle nicht in dieses angerußte Gebäude passen wollte.

„Herr Ostrowski?“ Sie sah dabei den Schnauzbart an, der ihr zunickte.

„Kommen Sie? Herr Kehlmann hätte jetzt Zeit für Sie.“

Als Ostrowski die Tür hinter sich zugezogen hatte, war es eine Weile still. Egon ergriff zuerst das Wort: „Karl sieht die Dinge manchmal ´n bisschen schwarz. Wenn er erst mal im Schacht ist, wird er ganz begeistert sein.“

„Na, unter der Erde ist es dunkel“, erwiderte ich, „insofern hat er Recht. Man muss es wollen, das Arbeiten unter Tage, dann macht es Spaß.“

„Du bist wohl´n Klugscheißer“, grinste Egon. Er trat auf mich zu und reichte mir seine Hand: „Ich bin Egon. Egon Walzak.“

Ich machte mich ebenfalls bekannt. Dann setzte Egon sich zu mir und erzählte, dass er und Ostrowski Weber seien und beschrieb das Weberhandwerk als ein sterbendes, das durch ständig verbesserte und schnellere Webstühle gefährdet sei. Arbeit gab es nach dem Krieg zur Genüge, auch für Weber, für viele ihrer Zunft aber nicht im erlernten Handwerk. Ostrowski und Walzak waren auf der Strecke geblieben und das nicht etwa, weil keine Tuche benötigt wurden. Ganz im Gegenteil war ihr ehemaliger Chef nicht mehr gegen die Auftragsflut angekommen und hatte zwei brandneue Webstühle zusätzlich zu den bisherigen aufgestellt, die schnell waren. Verdammt schnell und effektiv. Neun Weber konnten entbehrt werden. Zwei von ihnen waren Ostrowski und Walzak.

Das Leben hat keinen festen vorbestimmten Plan. Das Geschehen kann selbst Gott in seiner Ganzheit nicht überblicken, doch er verknüpft meisterhaft. So schickt er Leute, die an ihrem Platz nicht mehr gebraucht werden, dorthin, wo man ohne sie nicht kann. Wir bekamen alle drei die Arbeit, die Ostrowski eigentlich nicht wollte. Walzak sollte nicht Recht behalten, denn sein Freund blieb immer ein Fremdkörper und da die Beiden immer zusammen hockten, wurde ich auch mit Walzak nicht warm. Wir sahen und grüßten uns, kauten hier und da unsere Stullen gemeinsam, doch sprachen wenig miteinander. Wenn ich etwas sagte, wurde dies nach wie vor mit ´Klugscheißer´ kommentiert.

So kam es, dass die ersten beiden Kumpel, die ich auf der Zeche kennen lernte, keine große Bedeutung in meinem Leben erlangten. Der Dritte aber nahm zur Genüge Einfluss:

„Tag, ich heiße Rudi“, sagte der am nächsten Morgen. Wir waren auf der Abfahrt zu einer Ebene in Vierhundert Meter Tiefe, und der Mann mit den strahlenden Augen, der neben mir stand, streckte mir seine Pranke entgegen. Er war etwas größer als ich und ich zögerte einen Moment. Dann schüttelte ich energisch seine Hand, und war ahnungslos. Wie sollte ich auch erkennen, dass wir mit diesem Händedruck einen Bund fürs Leben schlossen.

„Paul“, erwiderte ich, war Fünfundzwanzig, hatte wieder einmal Lust auf ein Abenteuer verspürt und von zuhause weg gemusst.

***

Kurt war an diesem Tag liegen geblieben. Als wir von unserer Schicht kamen und ins Zimmer eintraten, schnarchte er temperamentvoll. Rudi wollte ihn wachrütteln, wir dachten, er hätte verschlafen, doch dann hielt ich ihn zurück. Ich sagte: „Der glüht ja, siehst Du?“

„Ja, Du hast Recht. Kurt hat’s erwischt. Was machen wir?“

„Liegen lassen“, erwiderte ich knapp.

„Ob er sich abgemeldet hat? Was meinst Du?“

Ich sah Rudi ungläubig an. Wie sollte ich das wissen.

„Steht ihm wohl nicht auf der Stirn geschrieben. Ich werde mal ins Büro gehen. Irgendwas müssen wir ja tun. Machst Du uns Kaffee?“

„Ja, natürlich. Oder soll ich gehen?“

„Lass mal. Dein Kaffee ist besser.“ Ich warf meinem Freund einen vielsagenden Blick zu und war schon auf dem Weg. Als ich die Verwaltung betrat, hatte ich mich bereits mit dem Gedanken vertraut gemacht, dass ich Kurts Schicht übernehmen würde, falls man mich fragen würde. Sagte ich bereits, dass ich nichts gegen das Geld hatte? Aber dann wurde ich gar nicht gefragt. Kurt hatte sich am Vormittag krank gemeldet. Ich schlenderte mit gemischten Gefühlen zurück. Einerseits freute ich mich auf eine gute Tasse Kaffee. Ein Luxus, den wir uns leisteten. Meine Gedanken kreisten um den Kranken in seinem Bett, der mich störte. ‚Sei nicht gehässig‘, rief ich mich zur Räson, als ich vor unserem Zimmer stand, aus dem ich Stimmen hörte und setzte ein Lächeln auf.

„Nee, danke“, sagte Kurt, der aufrecht im Bett saß, zu Rudi, als ich die Tür öffnete, „Kaffee möchte ich auf keinen Fall. Ich muss erst zum Arzt.“

„´n Tag, Kurt“, warf ich ihm einen Gruß zu.

„Ah, Paul. Komm mir nicht zu nahe. Ich hab die Seuche.“ Kurt grinste säuerlich.

„Er hatte sich schon abgemeldet“, bemerkte Rudi mit der Kanne in der Hand, „Du trinkst aber einen Kaffee, oder?“ Natürlich hatte er sich abgemeldet. Ich wusste das bereits.

Während Kurt sich für den Arzt bereit machte, verhielten wir uns sehr schweigsam. Das Kinn auf die Hände gestützt, ruhten wir aus. Wir hingen jeder unseren Gedanken nach, und als Rudi das Schweigen brach, hatte Kurt längst den Raum verlassen:

„Wir wurden mit Spritzen vollgepumpt“, begann er, „gegen Malaria und andere Tropenkrankheiten. Danach gab es keinen weiteren Aufschub. Wir trafen zur Zeit des Südwest-Monsun in Vietnam ein. Die Hitze kannten wir aus Algerien. Hier aber litten wir unter der unerträglichen Feuchtigkeit, die hinzu kam…


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Roman, Hardcover,

76 Seiten,

14,99€

E-Book: 5,99 €


Paul Czervan

Bahnhofsjunge


Wer ist dieser Bahnhofsjunge, der bis zuletzt namenlos bleibt? Ist er eine fiktive Person oder ist er, wie man mutmaßen möchte, der Autor selbst, von dem aus seinen Lebenserinnerungen bekannt ist, dass er dem Reisen und den Abenteuern zugetan ist? Wie dem auch sei. In dieser Erzählung, die beinahe vollständig ohne Dialoge auskommt, geht es um die große, lebenslange Liebe eines Menschen zur Eisenbahn. Ganz besonders faszinieren den anonymen Protagonisten bis ins hohe Alter die Bahnhöfe, deren Atmosphären sich mit der Zeit wandeln. Immer wieder stellt der Vielreisende Vergleiche zwischen den Völkern an, die er - wie seltsam berührend - an den Bahnhöfen abliest. Er bewertet und beurteilt, sehnt sich nach der Vergangenheit, um im nächsten Moment den Komfort der Gegenwart zu loben. Es ist ein stetiges, ruheloses Abwägen zwischen den Zeiten, die den Bahnhofsjungen als roten Faden beherbergen.


Veröffentlicht bei

BoD Books on Demand, Norderstedt

Erscheinungsjahr: 2015

ISBN-13:  978-3-734-77404-1

Leseprobe


Nicht weit von unserer Wohnung gab es ein Spielwarengeschäft mit einer sehr großen Schaufensterauslage, in der neben einer Burg mit Zinnsoldaten eine elektrische Eisenbahn aufgestellt war.

Nachmittags wurde die Anlage eingeschaltet. Plötzlich erwachten die Figuren auf dem kleinen Bahnhof aus ihrer Starre und begannen sich zu bewegen. Dabei mussten sie sich nicht etwa aufraffen; sie zeigten sich agil, als hätten sie überhaupt nicht geruht. Den Bahnhofsvorsteher mit seiner roten Mütze auf dem Kopf, der die Kelle in seiner Hand schwenkt, als ein Personenzug in den Bahnhof einfährt, habe ich mir im Gedächtnis bewahrt. Einige Fahrgäste, zumeist mit Gepäck, warten auf dem Bahnsteig, während auf einem weiteren Gleis ein Güterzug den Bahnhof passiert.

Oft habe ich dort gemeinsam mit anderen Kindern vor dem Fenster gestanden und begeistert zugeschaut. Meine Eltern waren zu dieser Zeit sehr arm und konnten mir und den zwei kleinen Geschwistern keine Spielsachen kaufen. Wenn ich nicht gerade auf meine Geschwister aufpassen musste, lief ich nachmittags zum Spielwarengeschäft. Meine Eltern wussten aber immer, wo ich war.

Meine Mutter betitelte mich schon früh mit „Mein Großer“, was mich sehr stolz gemacht hat. Nicht selten sagte sie: „Mein Großer, pass mal auf die Kleinen auf.“ So lernte ich schon in jungen Jahren, Verant-wortung zu übernehmen. Das hat mich für mein Leben geprägt. Ich habe während dieser Jahre ein Beschützerbewusstsein für die „Kleinen“ entwickelt, wie so viele Andere während dieser und zu jeder anderen Zeit, die als ältestes Kind geboren wurden...


Als ich acht Jahre alt war, bekam mein Vater nach drei Jahren Arbeitslosigkeit eine Anstellung auf einer Kohlengrube im 30 Kilometer entfernten Ratheim. Wir zogen in eine Bergmannssiedlung.

Am Tag des Umzugs wurden unsere Habseligkeiten auf einen offenen LKW verladen und wir drei Kinder anschließend oben drauf. Die Fahrt zur neuen Wohnung war ein Abenteuer, als wir aber angekommen waren, durfte ich mich zunächst, solange, bis alles eingerichtet war, nicht entfernen. 

Da ich Schulferien hatte, nutzte ich bereits am folgenden Tag die freie Zeit, die Gegend zu erkunden. Zwischen der Siedlung, in der wir nun wohnen würden, und dem eigentlichen Dorf verlief eine Eisen-bahnlinie. Als ich am Saum der Siedlung den Schienen folgte, kam ich bald an einen schönen und nach meiner damaligen Einschätzung schon etwas größeren Bahnhof. Gern hätte ich mich weiter vorgewagt, aber der Jägerzaun, vor dem ich eine Weile stand, um das Geschehen zu beobachten, flößte mir ausreichend Respekt ein, und so machte ich mich ein wenig unwillig auf den Heimweg.

Schon mein zweiter Tag bescherte mir die Bekanntschaft eines Jungen, der in unserer Straße wohnte. Er kannte sich gut aus, und als ich ihm von meinen ersten Eindrücken berichtete und von dem entdeckten Bahnhof schwärmte, winkte er mir, ihm zu folgen. Mit ihm voran traute ich mich nun über den Zaun.

Einen Bahnhof in Miniatur kannte ich ja bereits, umso mehr erstaunte mich hier die Imposanz der Gebäude und Anlagen in voller Größe. Wir waren noch nicht lange dort, als mich mein neuer Freund auf ein Signal aufmerksam machte, das die bevorstehende Einfahrt eines Zuges ankündigte.

Mit pochendem Herzen schaute ich in die Richtung, aus der der Zug kommen sollte, bis er nach etwa zwei Minuten tatsächlich einfuhr. Zum ersten Mal in meinem noch jungen Leben sah ich eine richtige Lokomotive und staunte und schluckte und fühlte, wie sich meine Wangen vor Erregung röteten. Das kalte, metallische Quietschen der Bremsen, das Zischen beim Ablassen des Dampfes, die prächtige Wolke aus Wasserdampf, das Schlagen der Türen beim Öffnen und das hektische Treiben der Fahrgäste, die Einen, die herausquollen aus dem Zug, die Anderen schwer atmend das Gepäck in der Hand tragend; die darauf warteten, dass sich eine Lücke im Gedränge ergäbe, die eine Möglichkeit zum Einsteigen und zum Sichern eines guten Platzes bot. Das waren überwältigende Eindrücke, die auf meine Sinne einprasselten, und nicht zuletzt begeisterten mich die Trillerpfeife und die lautstarke Aufforderung des Vorstehers zum Einsteigen (mit einem befriedigenden Lächeln registrierte ich, dass er genauso aussah, wie das kleine Männchen in der Schaufensterauslage). Er gab den letzten Hinweis, dass sich die Türen schließen würden, und fast zeitgleich erschallte eine Stimme aus einem Lautsprecher. Sie gab - vermutlich für alle Zurückgebliebenen, die ihre Leute zum Zug gebracht hatten - bekannt, welches Ziel der ausfahrende Zug hatte, und welche Orte er auf seinem Weg passieren würde.

Die Lokomotive setzte sich mit den anhängenden Waggons schwerfällig in Bewegung. Ich schaute ihm so lange nach, bis er aus meinem Blickfeld entschwunden war. Als ich meinen neuen Freund fragend ansah, weil wieder ein Signal ertönte, klärte er mich erneut auf und sagte, dass dies nun die Abfahrt des Zuges verkündet hatte.

Wir hatten so herrlich viel Zeit. Die sommerliche Wärme entlockte den Gräsern am Bahndamm einen berauschenden Duft. Mit großen Augen und schnellem Schritt folgte ich dem Jungen mit den langen Beinen, der sich in seiner Führerrolle augenscheinlich wohl fühlte. Er sagte nichts, während wir den Schienen folgten, doch schon bald gelangten wir an einen Güterbahnhof.

Zwei Männer in schwarzen, verrußten Anzügen mit Lederkappen auf dem Kopf standen im Führerhaus einer Lokomotive.

„Sie müssen Gegenverkehr abwarten“, stellte mein Freund fest, und als einer der beiden Männer ausstieg und sich an der Lokomotive zu schaffen machte, wusste mein Freund, dass es nicht ungewöhnlich sei, was der Arbeiter dort tat: „Hörst du? Er klopft die Lager ab. Gleich ölt er die Gleitstellen.“ Ich sah den Freund voll Bewunderung an. Was er alles wusste. Schon forderte er mich auf: „Komm. Wir können mal ins Führerhaus schauen.“

„Ins Führerhaus?“ Ich war von den Socken. Der traute sich was, mein Freund. Verschmitzt lachte er mir ins Gesicht und wusste ganz genau, was dort zu lesen stand. Schon lief er voraus. Vor der offenen Tür blieben wir stehen. Der Lokführer, der weiterhin mit dem Ölen der Gleitstellen beschäftigt war, warf uns über die Schulter einen knappen kameradschaftlichen Gruß zu. Dann rief er: „Könnt ruhig mal rein klettern, Bengels. Wir müssen noch ein Weilchen warten.“ Er tauchte aus der Hocke auf, reckte sich geräuschvoll und nahm seinen Stumpen aus dem Mund. Als er ihn begutachtet hatte, steckte er ihn sich wieder zwischen die Lippen und setzte seine Arbeit fort.

Wir drehten uns wieder dem Einstieg zu und sahen über uns den zweiten Mann, der sich aus dem Fenster lehnte und seinem Kollegen zurief: „He, Adolf, hast du mich gerufen?“

„Nee, hab mit die Bengels geredet. Lass sie mal gucken. Ich hab’s erlaubt.“

„Ach so. Alles klar. Na, denn kommt mal rin in die joote Stube“, winkte er uns zu sich herauf. Alsbald erfuhr ich von ihm, dass er der Heizer war. Für meinen Freund war dies nichts Neues.

„Ich muss immer für den nötigen Dampf sorgen“, erklärte er, „und ständig Kohlen nachschütten.“ Dabei zeigte er auf eine riesige Schaufel und dann auf den Ofen, dessen Tür er öffnete, damit wir hineinsehen konnten. Der Heizer hatte aber auch die Aufgabe, das Wasser für die Dampfmaschine nachzufüllen. Ich klebte dem verrußten Mann nun an den Lippen und erfuhr mit Interesse, dass die Dampfmaschine davon sehr viel gebrauchte. Das konnte ich gut nachvollziehen, als mir nun wieder die gewaltige Wasser-dampfwolke des kürzlich eingefahrenen Personenzuges vor Augen stand.

„So, Jungs, nun geht’s gleich weiter“, rief der Lokführer hinter uns. Wir hatten gar nicht bemerkt, dass er eingestiegen war, „habt ihr alles gesehen? Das ist gut. Ist gut, ja. Nun müsst ihr aber gehen, sonst nehmen wir euch noch mit.“ Er lachte.

„Oh ja“, rutschte mir heraus. Mein Freund grinste mich an.

„Hahaha“, schallte es hinter uns. Der Heizer schüttelte erheitert seinen Kopf und griff zur Schaufel: „Das solltet ihr euch gut überlegen. Ist kein Zuckerschlecken, stimmt’s, Adolf?“

„Nee, is es nich“, stimmte der zu, „und nun aber ab mit euch, hört ihr?“ Er machte uns den Weg frei.

Aus einiger Entfernung beobachteten wir zunächst den einfahrenden Gegenverkehr, bevor sich die Lokomotive auf den Weg machte. Ich winkte noch einmal zum Gruß und sah ihr betrübt nach. Zu gern wäre ich mit gefahren.

Vom nahen Bahnhof ertönte unterdes wieder das Schrillen der Pfeife gefolgt vom Ruf des Vorstehers. Der soeben an uns vorbei gefahrene Zug verließ mit Zischen und Ächzen die Station in die andere Richtung...


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